„Würden Sie es mir einpacken?“ Ich knurrte

Vier Wochen lang habe ich jeden Tag, außer sonntags, Bücher in Geschenkpapier eingeschlagen. Das ist 15 Jahre her, aber geben Sie mir ein Buch samt Papier und binnen wenigen Sekunden kriegen sie es absolut knitterfrei und maximal Papier sparend verpackt zurück. Ohne hingucken!

So richtig was werden kann man damit natürlich nicht, und richtig schlimm ist, dass Bücher und Papier in Kombination seitdem zu einer Art pawlowschem Reflex geworden sind. Sofort fängt zum Beispiel Chris Rea in meinem Kopf an, „Driving home for Christmas“ zu singen. Und direkt vor dem Thalia in Münsters Innenstadt stand der wohl lauteste Obdachlosenzeitungsverkäufer der Stadt und bot die Draußen an. Mit zwei immer gleichen Sätzen, in der immer gleichen Tonlage: „Kaufen Sie die Draußen! Münsters Obdachlosenzeitung Draußen!“ – „Kaufen Sie die Draußen! Münsters Obdachlosenzeitung Draußen!“ Und so weiter. Driving home – Kaufen Sie die – for – Draußen! – Münsters Obdachlosen – Driving home for Christmas – Zeitung Draußen – With a thousand – Kaufen Sie die – Memories. Seitdem knülle ich Bücher manchmal maximal Papier verschwendend in Altpapier, wenn ich sie verschenken will. Manchmal halten Rea und der Zeitschriftenverkäufer dann die Klappe.

Meine Kommunikation mit den Kundenmassen wurde im Laufe der Zeit immer knapper. Fing es an mit so etwas wie: „Soll ich es Ihnen als Geschenk verpacken? Aber gern, danke, bitte“, kam ich nach zwei Wochen beim wortlosen Buch-aus-der-Hand-Nehmen an. Nach vier Wochen war es nur noch ein stilles Knurren, wenn der 100. Kunde des Tages sagte: „Würden Sie es mir als Geschenk einpacken? In Rosa bitte, ist für meine Nichte, hihi, wissen Sie, Rosa.“ Wau! „Wir haben Rot oder Blau.“ – „Waaas? Kein Rosa!“ Und dann: „Oh, das Schleifenband sollte aber schon etwas kringeliger sein.“ Oder aber: „Oh nein, Sie kräuseln ja das Schleifenband!“

Manchmal gab es ein paar Minuten Leerlauf, meist so gegen 14 Uhr, wieso genau dann, weiß ich auch nicht. Und einmal habe ich mich dann mit der Hüfte gegen die Theke gelehnt und mich mit meiner Kollegin an der Kasse unterhalten – bis mein Chef vorbeikam: „Frau Kreutzträger, nun stehen Sie nicht da wie hingeflossen.“ Vermutlich habe ich Wau! gesagt oder geknurrt, keine Ahnung, jedenfalls musste ich zur Strafe kopieren gehen. Immerhin konnte man in dem Kopierraum ohne Fenster und bei geschlossener Tür weder Christmas-Rea noch Draußen-Verkäufer hören.

Meistgehörter Song: Ganz klar „Rudolph, the Red-Nosed Reindeer“, das lief nämlich nicht nur bei uns im Laden, sondern schallte auch von draußen aus den Nachbargeschäften rein.

Meistverkauftes Produkt: Keine Ahnung, entweder weil ich es schnell verdrängt habe oder weil man die Bücher zum Einpacken immer mit dem Gesicht aufs Papier gelegt hat, damit der Auspackende gleich sieht: juhu! „Der englische Patient“! Oder so.

Meistgehörter Spruch: Sie haben in der Weihnachtszeit auch Ihr Kreuz zu tragen, was, Frau Kreutzträger? ILKA KREUTZTRÄGER, taz.nord