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Temer raus!

POP Metá Metá aus São Paulo fusionieren Punk und Samba. Im Berliner HAU findet ihr Zorn auf die Verhältnisse einen Resonanzboden

Während ihre Kollegen an ihren Effektgeräten arbeiten, singt sich Juçara Marçal Nunes den Zorn von der Seele Foto: André Wunstorf

von Franziska Buhre

Wie verführerisch Ankündigungen doch sind. Referenzgesättigt lasen sich die Verlautbarungen zum Konzert der Band Metá Metá aus São Paulo, die am Mittwochabend im Hebbel am Ufer (HAU1) gastierte. Das brasilianische Quintett hatte bereits Ende Mai im Festspielhaus Hellerau in Dresden gespielt, und so wurde von beiden Spielstätten vorab derselbe Überbau aufgebaut, um Geschmäcker nach Stilrichtung (Punk, Afro-Beat, Samba, Folk) und Personenkult (John Coltrane, Sun Ra, Fela Kuti) anzusprechen. Doch damit nicht genug, wurden schließlich politische Statements der Band veröffentlicht, in denen sie sich gegen die politische Situation in ihrer Heimat wenden. Zweifellos ist die aktuelle Staatskrise in Brasilien besorgniserregend und in hiesigen Medien viel zu wenig präsent.

So wird verständlich, dass Trotz, Verzweiflung und Hoffnung in das Konzert von Metá Metá einsickerten. Bereits vor Beginn verschaffen brasilianische oder einfach des Portugiesischen mächtige KonzertbesucherInnen ihrem Ärger, den sie mit der Band zu teilen scheinen, lautstark Luft. Auf der Gitarre von Christiano Dinucci klebt ein Spruchband mit den Worten „Fora Temer“, übersetzt „Temer raus!“, gemeint ist der Interimspräsident ­Brasi­liens, Michel Temer. Die Sängerin Juçara Marçal Nunes erntet für ihre erste spöttische Bemerkung kurzen Jubel und legt los. Ihre Präsenz liegt irgendwo zwischen Angélique Kidjo und Nina Simone.

Ihr Stimmvolumen trägt weit in den ausverkauften Saal. Sie hat nicht nur zwei Jahrzehnte mehr Bühnenerfahrung als der Tenorsaxofonist Thiago França und der Schlagzeuger José Machado (beide in ihren Dreißigern), sondern auch mehr Haarpracht auf dem Kopf als ihre vier Mitmusiker zusammen, deren Bärte ausgenommen.

Zur Kompensation drehen Dinucci und França ihre Riffs und Röhrensounds mithilfe unentbehrlicher Effektpedale leider so weit auf, dass Marçals Gesang in der ohnehin miserabel aufbereiteten Akustik sämtliche Nuancen einbüßt. Ist es Schüchternheit, Bescheidenheit oder bloß ein schlechter Tag gewesen, weshalb Dinucci und der Bassist Marcelo Cabral oftmals mit sich beschäftigt sind und kaum mit Marçal kommunizieren noch jemals ihre Blicke ins Publikum richten?

Musik ist noch immer das greifbarste ­Ventil, um Sorge und Zorn abzuschütteln und Kraft zu ­schöpfen für den Blick nach vorn

Dinucci singt mitunter, was sein Gitarrenspiel sichtlich einschränkt, das an anderen Stellen wiederum fantasievolle Manöver erahnen lässt. Er und Cabral verstehen einander beim gemeinsamen Saitenfummeln blindlings und tragen, dazu passend, beide karierte Hemden, rot- und gelb-schwarz. Die Songs klingen nach Rock, der Sonnenlicht abbekommen hat und es in schwungvolle Energie umsetzt, durchaus mit kurzen Ausflügen in die angekündigten Referenzen. Das Programm ist, so erzählt França, vom neuen Album, das im August erscheint. Erwartbar springt der Funke schnell über und am Rande der Stuhlreihen tanzen BrasilianerInnen ausgelassen, während der letzten Songs ist der ganze Saal auf den Beinen. Musik ist noch immer das greifbarste Ventil, um Sorge und Zorn abzuschütteln und Kraft zu schöpfen für den Blick nach vorn. Insofern hat die deutsche Botschaft, welche die Band zum Abschluss auf Schildern hochhält, schon fast etwas Versöhnliches: „Nein zum Putsch in Brasilien“ – darin ist sich die temporäre Gemeinschaft an diesem Abend einig.

Bis September werden in Brasilien vermutlich Fakten mit gravierenden Folgen für das Land geschaffen. Dann spielen Metá Metá wieder in Berlin.

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