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Auf der Liste der Besten

Pass Anfang Juni lud das „Investment Migration Council“ zur Staatsbürger-schaftsbörse an den Genfer See. Ein Get-together der Superreichen, die Interesse an einer zweiten Nationalität haben – um Steuern zu sparen, Vermögen zu verwalten oder leichter reisen zu können. Das Geschäft ist umstritten

Aus Genf Sara Farolfi

Klein ist sie, unsere Welt – zumindest von einem weitläufigen Konferenzsaal im ersten Stock des Grand Hotel Kempinski aus gesehen. Das „Investment Migration Council“ (IMC) hat sich für sein zweites Jahrestreffen vom 6. bis zum 8. Juni das Fünf­sternehotel am Genfer See ausgesucht. Zimmer sind ab 500 Euro zu haben, ein Teller Nudeln im Restaurant kostet um die 40 Euro, und die Teilnahmegebühr von 2.000 Euro pro Person zerstreut letzte mögliche Zweifel: Dieses Forum hier ist etwas für Profis – solche des Sektors „Handel mit Pässen und Aufenthaltsgenehmigungen“.

Etwa zwei Milliarden Euro werden mit solchen „Citizenship by investment“-Programmen jedes Jahr umgesetzt: Dahinter steckt die Idee, dass man durch eine Investition den Pass eines Landes seiner Wahl erwerben kann – auch ohne dieses Land jemals besucht zu haben und nicht unbedingt als einzige Staatsbürgerschaft. Im Milieu der Superreichen kann man einen Zweit- oder Drittpass immer mal gebrauchen.

Das „Investment Migration Council“ mit Sitz in Genf wurde vor zwei Jahren von Christian Kälin, Schweizer Anwalt und CEO von Henley and Partners, angeschoben, einem der führenden Unternehmen der Branche. Es war Kälin, der 2006 das Passkaufprogramm des kleinen karibischen Inselstaates Saint Kitts and Nevis auf Touren brachte – ein Programm, das zum Vorbild für zahlreiche Staaten wurde. Für das Programm des EU-Mitglieds Malta etwa ist Henley and Partners seit 2013 tätig. Für 650.000 Euro Schenkung, den Erwerb oder die Anmietung einer Immobilie sowie 150.000 Euro Investition in maltesische Staatsanleihen wird der Interessierte zum EU-Bürger. Im wachstumsschwachen Europa ist eine solche Finanzspritze gern gesehen. „Malta ist das erste Land, das seine Staatsbürgerschaft ohne Auflagen mit einem Preis versieht, um mit den Einnahmen seinen Haushalt aufzubessern“, schrieb die NZZ.

Dass für die Programme eine übergeordnete Organisation nützlich wäre, die Regeln und Standards definiert, war ebenfalls Kälins Idee. Teilnehmer der Konferenz sind knapp zwei Dutzend multinationale Unternehmen mit Büros in den Metropolen der Welt, mit engen Kontakten zu den jeweiligen Regierungen und der anvisierten Klientel: Multimillionären. Die 300 Besucher kommen aus den USA, China, Hongkong, Singapur, dem Nahen Osten, der Schweiz und Großbritannien. Es sind zumeist Anwälte, sie leiten Auswanderungsagenturen, Vermögensberatungen, Immobilienbüros an exklusiven Standorten. Krista, die ihren richtigen Namen nicht nennen will, ist so eine junge, brillante Anwältin.

Die Schweizerin vertritt in Genf ein junges sogenanntes family office. Diese neue Form von Beratungsfirmen ist spezialisiert auf die Verwaltung privater Großvermögen. Man kümmert sich um alles, was einer Multimillionärsfamilie nutzt, von der Gestaltung der Erbschaftsteuern über die Ausbildung des Nachwuchses bis hin zum Erwerb einer Yacht oder der Urlaubsplanung. Es geht um Steuern, um Vermögensplanung, um Lifestyle, aber zuweilen eben auch nur um die Befriedigung einer Laune, sagt Krista, die nach Genf gekommen ist, um ihre Firma bekannt zu machen und um Kontakte für ihre Klienten zu knüpfen.

Hauptakquisefelder der family offices sind China und Russland, aber auch arabische Staaten. Die Syrer dominieren gerade unter den Nationalitäten, die dringend auf der Suche sind nach einer zweiten Staatsbürgerschaft, gefolgt von Jemeniten, Irakern, Libanesen und Palästinensern. Für die aus Krisenregionen stammenden ist es natürlich schwieriger, eine zweite Staatsbürgerschaft zu erwerben. „Aber hinter jedem Anliegen steckt ein Mensch“, sagt mit Inbrunst Veronica Cotdemiey, CEO bei Citizenship­invest, und bekommt Applaus, als sie ihren Vortrag schließt: „Wäre es da nicht schön, auf der Liste der Besten zu stehen?“

„Diese Staatsbürgerschaftsprogramme sind noch die Ausnahme, aber immer mehr Länder führen sie ein“, sagt Augustin Fragomen. Er ist Inhaber von Fragomen, Del Rey, Bernsen & Loewy LLP, der weltweit größten Kanzlei für Migrationsdienstleistungen mit Sitz in New York. Sie wurde 1951 gegründet, um US-Banken und Unternehmen, die im Ausland Filialen eröffnen wollten, bei bürokratischen und Visafragen für das aus den USA stammende Personal zu unterstützen. Heute betreibt Fragomen LLP 40 Büros mit 3.000 Beschäftigten.

„Als es mit den Programmen zum Erwerb von Staatsbürgerschaften und Aufenthaltsgenehmigungen losging, waren wir schon da und konnten eine zentrale Stelle im Markt besetzen“, sagt Nadine Goldfoot, eine energische Afroamerikanerin, die im Fragomen-LLP-Büro in Dubai arbeitet. Man arbeite eng mit den jeweiligen Regierungen zusammen. „Wir haben sehr gute Kontakte, das ist aber nichts Offizielles: Man weiß einfach, dass wir die Vordenker im Business sind.“ Von der Bühne erläutert ihr Chef Augustin Fragomen, der auch mal Berater der US-Regierungkommission für Immigrationsfragen war, das Konzept so: „Unser Geschäft ist keines, das sich im luftleeren Raum abspielt. Wir sind ganz nah dran an den politischen Migrationskonzepten der Staaten.“

Und in der Tat drehen sich die 15-minütigen Redebeiträge um politische Fragen: Was passiert nach dem Brexit? Wie geht es weiter mit Schengen? Sind in Folge der „Panama Papers“-Enthüllungen strengere Kontrollen der Steuerbehörden zu erwarten? Die Staatsbürgerschafts­profis sprechen erhaben von einem „ganzheitlichen Zugang zu Migrationspolitiken“.

Ganzheitlich bedeutet nicht zuletzt persönlich: Gaston Brown, Premierminister des Karibikstaates Antigua und Barbuda, ist ebenso wie der maltesische Premier Joseph Muscat Stammgast bei den Events von Henley & Partners. „Kapital und Rohstoffe bewegen sich frei, die Menschen müssen sich mit ihnen bewegen – und dafür sorgen die ‚Investment-Migration‘-Programme“, bekräftigt Brown in Genf. Dabei ist der Wechsel von Politikern in die Branche allgegenwärtig: Michael Frendo zum Beispiel leitet heute eine Beratungsfirma rund um den Passhandel. Früher war er maltesischer Außenminister und hat den Weg für die heutigen Programme zum Verkauf von Staatsbürgerschaften geebnet.

Ebenso durchlässig sind die Grenzen zwischen der Pass­industrie und dem akademischen Sektor. Dimitry Kochenov, Professor im niederländischen Groningen und in Princeton, sitzt im Beirat von IMC und empört sich über angebliche Desinformation der Medien. So habe die Financial Times im April kritisch über Maltas Passhandel berichtet („Malta’s golden passport scheme draws fresh criticism“). Der Independent titelte 2014 zum selben Thema: „Passports for profit: British company to make ‚disgusting amounts of money‘ from controversial EU passport sale“.

Die Kritik an der Branche dreht sich immer um die gleichen Fragen: Dürfen eine Aufenthaltsgenehmigung, visafreies Reisen und Pässe zum Verkauf stehen? Kann man da noch von Gleichheit der Bürger sprechen? Und wer kontrolliert, woher das Geld stammt, das die schöne neue Reisefreiheit ermöglicht?

Professor Dimitry Kochenov stört sich auch an der EU, weil die versucht habe, das beste aller Passkaufprogramme, nämlich das maltesische, zu boykottieren. An der Unionsbürgerschaft habe ein Preiszettel nichts verloren, hatte Anfang 2014, bei Bekanntwerden der maltesischen Pläne, Viviane Reding gewettert, damals EU-Kommissarin für Justiz, Grundrechte und Bürgerschaft. Kochenov ficht das nicht an. „Dies ist ein bedeutendes Business, und auch an den Universitäten hat man endlich verstanden, dass sie davon profitieren, ohne dass es zu Interessenkonflikten kommt: Die Forschung hat mit den Firmen nichts zu tun.“

Am Abend ist die Stimmung in Genf wieder entspannt. Man trifft sich zu Tanz und Gesang auf einem Kreuzfahrtschiff am See. Christian Kälin hat für alle ein freundliches Wort. Kein Wunder: Auf jeden Pass etwa, den die maltesische Regierung vergibt, bekommt die Agentur eine Provision plus vier Prozent von der Gesamtinvesti­tionssumme. Die win-win programs, wie man hier sagt, scheinen tatsächlich allen Anwesenden eine goldne, globale Zukunft zu versprechen.

Aus dem Italienischen von Ambros Waibel

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