Berliner Szenen
: Die Zuckerwatte der Eltern

Verantwortungslos

„Alkohol?“, gebe ich mich geschockt. Den bräuchte ichjetzt

Hannah und Max haben sich abgesetzt. Es war beiden zwar sehr wichtig, dass wir beim Sommerfest nicht fehlen, aber jetzt, wo wir da sind und ihren Chorauftritt fotografiert und gefilmt haben, sind wir ihnen egal. Wir sind längst nur noch die Anlaufstation, bei der man sich Geld für die Zuckerwatte oder den Schießbudenwurf holt. Weil mir auch Melanie entwischt ist, obwohl sie als meine Frau gemeinsam mit mir leiden sollte, muss ich mir die Zeit mit der Mutter von Marlene, Hannahs Klassenkameradin, vertreiben. Der scheint als Einziger auf dem Schulhof meine Gegenwart nicht lästig zu sein. Sie hat die Gesprächsführung inne. Zum Glück, denn mir fällt nie ein gutes Thema ein, wenn ich mich mit Menschen unterhalten soll, die ich nicht schon Jahre kenne.

„Also, was ich ja total unmöglich finde, ist, dass die hier Alkohol verkaufen. In’ner Grundschule!“

„Alkohol?“, gebe ich mich geschockt. Den könnte ich jetzt gebrauchen. Vielleicht würde mich das Fest dann weniger anstrengen. „Wo denn?“

„Im Hof zwei. Da gibt es Bowle.“

Ich bin enttäuscht, dass nichts Hochprozentiges angeboten wird. Weil Marlenes Mutter Elternsprecherin und eng mit der Klassenlehrerin befreundet ist, schüttele ich fassungslos den Kopf. „Ist ja total verantwortungslos. Müssen die Kinder dann mit ansehen, wie die eigenen Eltern trinken? Ich dachte, der Friedrichshain ist endlich so weit durchgentrifiziert, dass so was hier nicht mehr passiert.“

Sie nickt zufrieden.

„Seitdem die Kinder da sind, trinken wir zum Beispiel gar keinen Alkohol mehr“, schiebe ich hinterher. Ob ich damit nicht ein bisschen zu dick auftrage, überlege ich noch, als plötzlich Melanie wieder neben mir steht: „Hier! Ich hab uns Bowle gekauft. Ohne Alkohol hält man das ja hier nicht aus.“

Stephan Serin