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Die Stärke, etwas hinauszuschleudern

Junge Dramatik Weiterleben nach einem Flugzeugabsturz? Trotz Krebs oder Suizid des Vaters? Sozialneurosen und radikale Entscheidungen umkreisen die Stücke bei der Langen Nacht der Autoren am Deutschen Theater

von Simone Kaempf

Früher sagte man Monolog. Heute nennt man es Wutrede, wenn eine Figur auf der Bühne ihrer Verzweiflung Luft macht. Wenn sich ein innerer Gedankenstrom Bann bricht, rhetorisch gegen die Welt ankämpft und heiß läuft angesichts derer Unveränderbarkeit. Dieser Trend sorgt in der jüngeren Zeit immer wieder für starke Theatermomente und erzählt von einer veränderten Weltwahrnehmung: Das Tragische stößt dem Menschen zu; Welt geschieht ihnen. Das ist eine veränderte Haltung des Menschen als Wesen, das ja eigentlich handelt, adressiert, agiert– und durch Gegenrede verändert werden könnte.

Wo die Dynamik der Veränderung nicht greift, zählt die innere Stärke, der Moment, sich zu erklären und etwas hinauszuschleudern. In neuen Theatertexten junger Autoren lässt sich das beobachten, auch in den drei Stücken, die von der Jury der Autorentheatertage als Siegerstücke ausgewählt und für die Lange Nacht am Deutschen Theater inszeniert wurden. In seinem Stück „Das Gelübde“ lässt etwa der Schweizer Autor Dominik Busch, Jahrgang 1979, seine Hauptfigur die Bindungen zum bisherigen Leben lösen: Der junge Arzt Tim hat während eines Flugzeugabsturzes das Versprechen abgelegt, die Leitung einer Krankenstation in Afrika zu übernehmen. Nach dem Überleben der Katastrophe hält er an dem Gelübde fest. Was auch heißt, andere Versprechen zu lösen und sich zu rechtfertigen – weniger wütend als in stiller Verzweiflung.

Ordnet sich die Hauptfigur in „Das Gelübde“ auf fast religiöse Weise einer irrationalen Kraft unter, lässt Jakob Nolte in „Gespräch wegen der Kürbisse“ zwei Freundinnen bei eskalierenden Unterstellungen aufein­ander los. Und Stefan Hornbach schickt in „Über meine Leiche“ wiederum zwei Heranwachsende in einen Lern- und Emanzipationsprozess nach der Diagnose Krebs. Die großen Themen werden nicht gescheut.

Aus 175 Einsendungen wählte die Jury der Autorentheatertage in diesem Jahr diese drei Texte aus. Jury-Vorsitzende Barbara Behrendt warb in ihrer Eröffnungsrede (veröffentlicht in der taz vom 20. Juni) für ein Theater, das nicht nur den omnipräsenten Nachrichten hinterherhechelt, sondern „uns mit unseren Ängsten und uneingestandenen Widersprüchen“ konfrontiere und nicht mit einfachen Antworten abspeise.

Die ausgewählten Texte zum Abschluss der Autorentheatertage auf die Bühne zu bringen gehört mittlerweile zur guten Tradition. Bereits vor zwanzig Jahren fand die Lange Nacht der Autoren erstmals statt, als Ulrich Khuon noch in Hannover Intendant war. Sie wanderten mit ans Thalia Theater Hamburg: vier neue Stücke in Werkstattinszenierungen anzutesten war ein lockerer, sportiver Marathon-Saisonabschluss-Spaß und behielt auch am Berliner Deutschen Theater erst mal diesen Charakter. Vor zwei Jahren entschied man, einen Schritt ins Gewichtige zu gehen. Der Improvisationsgeist hatte den Texten nicht immer gutgetan. Statt Werkstatt-Inszenierungen gibt es längere Probenzeit und Kooperationen mit großen Bühnen in Zürich und Wien.

Ein richtiger Weg, an dem man mit Recht festhalten will. Das Ergebnis spricht dafür. Regisseur Nicolas Charaux gelingt mit „Über meine Leiche“ die mutigste und auf jeden Fall verspielteste Inszenierung. Die beiden Figuren Jana und Friedrich repräsentieren unterschiedliche Prinzipien: Ihre lebenssatte Todessehnsucht prallt auf seinen glimmenden Lebensdrang. Just im Moment seiner Erkrankung taucht sie wieder in seinem Leben auf. „Ich zeige dir, wie man lebt. Und du zeigst mir dann, wie man nicht mehr lebt. Geht das?“ Diese Asymmetrie nutzt Charaux als Spielmaterial. Bälle kullern aus Wandklappen, Film-Dialoge werden pantomimisch nachgestellt; das Spielerische bleibt dicht am Ernst der Situation.

„Ich zeige dir, wie man lebt. Du zeigst mir dann, wie man nicht mehr lebt“

Spiel zielt aneinander vorbei

Regisseurin Lily Sykes nimmt „Das Gelübde“ musikalischer, als es der Text vermuten lässt. An der Orgel stimmen die vier Schauspieler Choral-Silben an, spielen ansonsten auf einem Flugzeugflügel, um von der Radikalisierung des jungen Arztes Tim zu erzählen. Den großen Raum füllt die Arbeit hervorragend. Was man über die Inszenierung, die am Deutschen Theater im Repertoire verbleibt, nicht sagen kann. Mit Maren Eggert und Natali Seelig schlüpfen in „Gespräch wegen der Kürbisse“ zwar zwei klasse Schauspielerinnen in die Rollen von Freundinnen, die sich nach dem Urlaub im Café treffen. Seelig ist streng, aufbrausend und ein wenig gekünstelt. Eggert beobachtend, moralisch, dünnhäutig. Doch ihr Spiel zielt aneinander vorbei. Mal sprechen sie ins Mikrofon, oder Discokugelatmosphäre wird hochgeregelt – Verlegenheitslügen von Regisseur Tom Kühlen. Doch damit werden Fans der Schauspielerinnen wohl ganz gut leben können. Die Hinterbühnen-Inszenierung mag ihnen als Liebhaberprojekt genügen.

Am Gesamteindruck ändert es denn auch nichts: Die Idee der Langen Nacht der Autoren geht in dieser Form auf jeden Fall ganz gut auf.

„Gespräch wegen der Kürbisse“ läuft wieder am 30. 6., 5. 7., 14. 7., Deutsches Theater, Schumannstraße 13a

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