Der Sturm zieht auf

Theater Blaumeier hat sich Shakespeares „Der Sturm“ angenom-men und verspricht zur Premiere ungewohnte Ernsthaftigkeit

Kommen nach zehn Monaten Probe nun aus der Deckung: die Blaumeiers im Sturm Foto: Foto:Marianne Menke/Blaumeier

von Jens Fischer

„Nein, nein, nein – das wird dieses Mal nicht so lustig“, so kündigt die Öffentlichkeitsarbeiterin Karolin Oesker eine frische Brise in der Blaumeier’schen Theaterarbeit an. Aber ein dramatisch tosender Klassiker müsse es schon wieder sein, um die Ideologie des Hauses zu beweisen: dass im professionell produzierten Laienspiel völlig egal wird, wer normal behindert oder behindert normal ist. Alle Beteiligte sind Menschen mit besonderen Fähigkeiten.

Shakespeares Vermächtnis „Der Sturm“ soll sie jetzt zu Höchstleistungen treiben. Erneut nicht in einer inklusiven Schutzzone, sondern an einem etablierten Kunstort, dem Theater Bremen. Aber warum dieses Stück? „Diesen Autor haben wir noch nie inszeniert, das wurde Zeit“, so Oesker. „Und wir fanden es gerade in diesem Werk inter­essant, dass mit Zorn, Rache und Vergebung starke Emotionen im Vordergrund stehen, die nicht Liebe sind, mit der wir uns bisher meist beschäftigt haben. Zudem gibt es ein Happy End, das hatten wir auch nicht oft.“

Endet das Stück nicht eher in milder Resignation? „Nein, als Märchen der Versöhnung“, sagt Oesker. Eine tiefenscharfe Interpretation des Stoffes in ein Regiekonzept zu übersetzen, beispielsweise die Verquickung von Macht und Schuld zu untersuchen, ist nicht gewollt? „Das ist gar nicht möglich“, erklärt Regisseurin Imke Burma, „so richtig intellektuelle Ansätze würden bei unseren Darstellern nicht auf Verständnis stoßen.“

Einige Blaumeier-Mimen sind Menschen mit Down-Syndrom. Diesen wird von Wissenschaftlern nachgesagt, relativ unvermittelt und ungehemmt in ihren Gefühlsäußerungen zu sein. Ideal für die Bühnenkunst? „Ja, an dem Saft setzen wir an, was in denen passiert, die großen Gefühle waren und bleiben unsere Stärke und ermöglichen ein intensives Zusammenspiel der Darsteller.“

Oesker prophezeit weitere Neuerungen. Die Besucher würden wohl – nicht wie sonst vom Humor leicht beschwingt – aus der Aufführung schweben, betont sie. „Eine andere Ernsthaftigkeit ist zu erleben.“ Und die Musik ist auch nicht mehr nur mitsingfidel. Neben den elf Darstellern werden vier Musiker live auf der Bühne agieren und als Prosperos Geister den Zauber seines Inselreichs akustisch vermitteln. Und zwar mit einem perkussiven Soundtrack voller Geräusche, Klänge und melodischer Motive der Figuren.

„Da Musik besser pusten kann als Windmaschinen, lassen wir auch den Sturm musizieren“, so die Regisseurin. Mit Sängergezischel, -getuschel, -gepfeife plus Hörnergrollen und Kontrabassdonner. Burma: „Die Musik soll also nicht nur Stimmungsverstärker und Gefühleklarmacher sein, sondern sich zur handelnden Person emanzipieren.“ Sie könne verführen, verhexen, bezirzen, erschrecken, beglücken – und damit innehalten und andere Handlungen initiieren. Ist sie auch der Liebe Nahrung, die pubertär wallend auch in der Vorlage steckt? Oder wurde die Liebe gestrichen? „Natürlich nicht“, so Burma, „aber wenn Miranda und Ferdinand sich angeiern, atmen Sänger leise ins Mikrofon, seufzen, stöhnen, …“ A-cappella-Zärtlichkeiten – statt des Gedröhnes der Flugzeuge im Bauch.

Die Handlung des Stücks bleibt allerdings bestehen, verspricht Oesker, werde aber auf 90 Aufführungsminuten gerafft. „Sodass alle Rollen, also alle Schauspieler eine etwa gleichwertige Auftrittszeit haben“, beschreibt die Regisseurin das Blaumeier-Konzept. Originaltext komme nur in Schnipseln noch als Sprachklanggesang vor. So ähnlich wie Feridun Zaimoglu schon mal „Othello“ in Kanaksprak neu geschrieben hat, werden bei Blaumeier die Dialoge aus der Alltagssprache der Mimen in den zehn Monaten Probenzeit entwickelt. „Die Rollengestaltung schmieden wir den Darstellern aufs Maul“, so die Regisseurin.

Blaumeier mit neuer Ernsthaftigkeit und alter Spielfreude

Auch mit dem Bühnenbild will Blaumeier neue Akzente setzen. Ist die verwunschene Insel als idyllisches Paradies oder höllische Einöde gestaltet? „Eher zeitlos zauberhaft“, so Oesker, „aber ästhetischer als sonst.“ Es gilt der Wunderglaube knapper Ausstattungsetats: „Ganz wenig auf der Bühne hat ganz viel Wirkung.“ Und was wird wirken sollen? „Ein leerer Raum mit einigen Bäumen in Bewegung.“

Die Figuren sind weniger „aus solchem Stoff wie Träume sind“ (Shakespeare), die Besetzung sei eher erdig, „typgerecht“ erfolgt, sagt Burma. Prospero, ein kluger Herrscher im Reich der Bücher? „Unser Darsteller ist schon privat ein Mensch von großer Ruhe, er hat etwas Rätselhaftes, stets geht etwas in ihm vor und man weiß nicht was, er bleibt undurchschaubar – eine ideale Besetzung, dachten wir.“

Das garstige Monster Caliban, ein Erziehungsverweigerer aus antizivilisatorischem Antrieb? Er werde von einem stark körperbehinderten Mimen gespielt, sagt Burma: „Wir setzen so auf die Wesenheit der Figur, die sehr bodennah agiert, da der Darsteller nicht laufen kann, das passt sehr gut. Aber gewaltige Raserei spielt er auch gern, saust dann auf einer Baumwurzel herum.“ Seit wann haben die Räder? „Seit wir die drunter geschraubt haben.“ Und Ariel? „Kein den Raum durchwirbelnder, luftiger Typ, aber sehr wach, sehr clownesk. Der fliegt vor Freude.“ Da werden sie dann wohl doch wieder funkeln, die überbordende Spielfreude und der versponnene Spielduktus der Blaumeiers, ja, ja, ja …

Premiere: Mittwoch, 19 Uhr, Theater am Goetheplatz. Wieder am 30. Juni, 1., 2. und 3. Juli