„Eine Art Vorsingen“

VORTRAG Ulrike Reimann beschäftigt sich mit den rituellen Trauerpraktiken von Klagefrauen

■ 33, ist interkulturelle Pädagogin, Lebens- und Trauerbegleiterin und Trainerin für nachhaltiges Projektmanagement.

taz: Frau Reimann, Klagefrauen verbinden wir ja weniger mit christlich geprägter Trauerkultur ...

Ulrike Reimann: Dabei gehörten sie früher durchaus auch bei uns dazu, auch wenn man’s kaum glaubt. Erst im Mittelalter wurde damit begonnen, sie zu bekämpfen, und schließlich wurden sie verboten.

Wieso wurden sie bekämpft?

Die Frauen hatten eine ähnliche Funktion wie der Narr zur Faschingszeit: Im Moment des Todes durften sie Wut und Ärger und Trauer herausschreien, die haben in dem Moment alles auf den Tisch gebracht. Das durften sie sonst nicht. Im Mittelalter entbrannte dann ein Streit um die „Deutungshoheit“ des Todes – und da haben sich dann die Vertreter der Kirche durchgesetzt.

Hätten sie nicht nebeneinander existieren können?

Naja, man muss ganz klar sagen, dass man mit dieser kraftvollen Art des Trauerns Menschen durchaus manipulieren kann. Das Klagen der Frauen stand ja nicht für sich, sondern war eine Art „Vorsingen“ für die anderen Trauernden. Es hat sie inspiriert, zum Nachdenken gebracht, zum Mitsingen animiert. Das waren richtig tolle Feste!

Bessere als die Trauerfeiern heute?

Die Lautstärke entspricht wohl nicht mehr unseren Hörgewohnheiten, aber die Klageweiber haben die Atmosphäre der Trauergemeinschaft gespürt und wiedergegeben, sie waren äußerst empathisch. Sie haben dazu angeregt, nicht für sich alleine, sondern gemeinsam zu trauern. Die Menschen konnten durch dieses strukturierte Chaos sehr gut Psychohygiene betreiben.  Interview: SCHN

19.30 Uhr, Trauerraum, Brunnenstraße 15/16