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reinhard wolff über die Asylrechtsverschärfung in SchwedenKehrtwende statt Atempause

Schweden könne nicht das weltweite Flüchtlingsproblem lösen, nicht alle aufnehmen – aber könne man nicht wenigstens aus der Geschichte lernen? Diesen Appell richtete der Kinderarzt Henry Ascher einen Tag vor der Abstimmung über weitere Asylrechtsverschärfungen an die Abgeordneten des Parlaments in Stockholm. Seine Eltern waren in den 1930er Jahren vor dem Holocaust nach Schweden geflohen. Anderen Familienangehörigen hatte Stockholm damals die Einreise verweigert. Im Prinzip mit den gleichen Argumenten, mit denen man nun den Familiennachzug beschränkt.

Die schwedische Flüchtlingspolitik galt lange als vorbildlich. Doch derselbe Ministerpräsident, der vor neun Monaten „stolz“ war, Regierungschef eines Landes sein zu dürfen, das Flüchtlinge mit offenen Armen empfange und „keine Mauern bauen“ werde, verteidigt nun, dass Stockholm sich auf dem „Minimumniveau“ der Asylpolitik positioniert habe. Restriktiver geht’s nicht mehr. Und die Begründung? „Damit auch andere Länder mehr tun.“ Nein – ein solcher Wettlauf, sich so unattraktiv wie möglich für Flüchtlinge zu machen, trifft nur die Menschen, die von Verfolgung und Krieg betroffen sind und verzweifelt versuchen zu überleben.

Eine rot-grüne Regierung, die bei ihrem Amtsantritt stolz den Eigenanspruch einer feministischen Politik formuliert hatte, macht nun eine Politik, die kontraproduktiv und inhuman ist, die Kinder traumatisiert, Familien trennt, ihnen das Recht versagt, zusammenleben zu können. Die sie zwingt, Jahre in Unsicherheit und Ungewissheit zu verbringen.

Aus der „Atempause“, die Schwedens stellvertretende Ministerpräsidentin und Grünen-Vorsitzende vor Monaten unter Tränen verkündete, ist eine Kehrtwende geworden. Dabei hatte Henry Ascher den Abgeordneten noch mit auf den Weg zur Abstimmung gegeben: „Ihr könnt diesen Kindern später hoffentlich stolz in die Augen schauen.“

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