piwik no script img

EMtaz: Deutschland gegen UkraineAlter Mann verbreitet gute Stimmung

Schweinsteigers Jubellauf ist das Sinnbild des deutschen Auftakt-Sieges gegen die Ukraine. Oder wie Jogi Löw sagte: „Das gibt uns allen Auftrieb.“

Vorsicht ansteckend: Schweini-Grippe Foto: reuters

Lille taz | Und plötzlich waren alle bester Stimmung. Bastian Schweinsteiger steckte sie alle an mit seinem Lachen. Fast genauso rasant wie er beim erfolgreich abgeschlossenen Konter in der Nachspielzeit über das Feld gesprintet war, rannte er nun wieder zurück, um im Schnelldurchgang sein Glück mit seinen Teamkollegen zu teilen. Und es schien sich wie ein Lauffeuer auf seine Teamkollegen zu übertragen. Binnen kürzester Zeit war er bei Manuel Neuer angelangt.

„Das gibt ihm und uns allen Auftrieb“, so fasste Bundestrainer Joachim Löw das Offensichtlichste hernach zusammen. Dem in den vergangenen Monaten vor allem von Ärzten betreute Schweinsteiger gelang mit seinem Tor zum 2:0 gegen die Ukraine eine Schlusspointe, die Ablenkung und Erleichterung verschaffte nach dem mühseligen EM-Auftakt des DFB-Teams.

Über die weniger geglückten Momente dieses Abends sah Löw mit einer ungewohnten Leichtigkeit großzügig hinweg. Die verletzungsbedingt wieder mal neu formierte Abwehr mit Shkodran Mustafi als Innen- und Benedikt Höwedes als Außenverteidiger hatte in der der ersten Halbzeit so manche Abstimmungsprobleme zu bewältigen, die Neuer mehrmals ermöglichten, seine Klasse zu zeigen.

Vor allem Höwedes hinterließ auf seiner rechten Seite oft große Spielräume. Dass eine daraus entstandene Gefahrensituation Jerome Boateng einmal nötigte, mit akrobatischer Kunst auf der Torlinie in der ersten Halbzeit zu klären, wiegelte Löw lediglich mit dem Kommentar ab: „Es ist gut, wenn man Jerome als Nachbarn in der Abwehr hat.“

Kroos strotzt vor Selbstsicherheit

Humoristisch betrachtet war das zwar eher ein Sicherheitspass, nachdem sich schon so viele über die Zweifel des AFD-Politikers Alexander Gauland an der Nachbarschaftstauglichkeit von Boateng lustig gemacht haben, für einen DFB-Angestellten war das aber ganz schön keck. Selbst Toni Kroos gab sich an diesem Sonntagabend in Lille forsch fröhlich, obwohl er auf diesem Gebiet zu den Unerfahrensten zählt. Als er zur Leistung von Mustafi befragt wurde, der nach einem Freistoß von Kroos per Kopf die frühe Führung (19.) erzielte, sagte er: „Das Tor muss er ja machen nach der Vorlage.“

Der zweite so stimmungsaufhellende Treffer von Schweinsteiger ist in seiner Wirkung nicht zu unterschätzen, fehlte es dem Nationalteam in den letzten Monaten doch an nachhaltigen Erfolgserlebnissen. Am Beispiel von Kroos, der jüngst mit Real Madrid den Champions League-Titel gewann, kann man derzeit studieren, welche Selbstsicherheit positive Erfahrungen erzeugen.

Gruppe C

1. GER: 3 - 3:0 - 7

2. POL: 3 - 2:0 - 7

3. NIR: 3 - 2:2 - 3

4. UKR: 3 - 0:5 - 0

Auch gegen die Ukraine war er der große Spielgestalter, selbst in Bedrängnis in der Lage, durch wundersame Zuspiele Teamkollegen wie Sami Khedira allein Richtung gegnerisches Tor zu schicken. Und von ein paar Wacklern lässt sich Kroos momentan sowieso nicht beeindrucken. Man hätte sich zwar durchaus nicht beschweren können, räumte er ein, wenn in der ersten Hälfte der Ausgleich gefallen wäre, aber es sei doch ganz normal, wenn man über 90 Minuten eine Phase hat, „in der man nicht so griffig ist.“

Angriffe von 40 Deutschen auf ukrainische Fans

In der zweiten Hälfte griffen wieder die Mechanismen ineinander beim deutschen Kombinationsspiel. Und so konnte DFB-Präsident Reinhard, früher als Finanzchef für die Zahlen verantwortlich, am Ende festhalten: „Wir haben das erste Spiel gewonnen und das als erste Mannschaft mit zwei Toren Unterschied.“

Die Anhänger der deutschen Nationalmannschaft trugen indes in Lille ein Selbstbewußtsein zur Schau, das eher besorgniserregend für den weiteren Turnierverlauf ist. Vor dem Spiel posierten etwa 20 Hooligans in der Innenstadt mit der Reichskriegsflagge und befestigten diese dann vor einer Brasserie.

Ein schauriger Gästeauftritt in Frankreich – zumal immer wieder die üblichen Rufe: „Hurra, hurra, die Deutschen, die sind da“ angestimmt wurden. Bei Angriffen von etwa 40 Deutschen auf Anhänger der ukrainischen Mannschaft wurden zudem zwei Menschen leicht verletzt, wie die Polizei in der nordfranzösischen Stadt bestätigte. Es wurde mit Getränkedosen geworfen.

DFB-Chef Grindel hatte noch vor dem Spiel die eigene Präventionsarbeit gelobt und sich unbesorgt gegeben. Man habe bei der Vergabe der Tickets genau darauf geachtet, wer diese erhalte, erklärte er. In den Straßen von Lille hatte man indes den Eindruck, dass diese Beschränkung keineswegs abschreckend wirkt. Und Eintrittskarten wurden auf dem Schwarzmarkt vor dem Stadion sowieso genügend feil geboten.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

1 Kommentar

 / 
  • Wenn's endlich mal losgegangen ist auf'm Platz, haben viele bekanntlich schon "Jahre" an Grübeleien über den Kader hinter sich und nehmen das erste "echte" Turnierspiel als Anlass zur Prüfung dessen, was sich an Nominierungsfragen in der Vorzeit des Turniers gestellt hat. Ein recht auffälliges und schon "erwartetes"/vorhergesehenes Ergebnis auch in diesem Spielkommentar ist das Konstatieren des "Lochs" auf der rechten Seite.

     

    War ja klar: Bis 2014 brauchte man sich keinen Kopf zu machen in den letzten großen Turnieren - auf der Lahm-Seite war alles safe (Def., Mittelf., Angriff, Vorwärts-/Rückwärtsbewegung). Die Position war klar und eindeutig für 2016 vakant. Auf der linken Seite hat Löw sich mit Hector entschieden - wohl mit Recht. Rechts hat er mit Rudy und anderen etliches probiert - meist mit eher mäßigem Erfolg (Can). Es hätte auf schwächerem als Lahm-Niveau zweifellos Nachbesetzer gegeben, aber hier geht Löw offensichtlich bewußt den Weg der "Nichtbesetzung". Wie das erste Spiel zunächst mal zeigt: mit Loch-Folge.

     

    Das wird der Grund für Watzkes grimmige Bemerkung gewesen sein, als er anmerkte, dass es dem DFB ganz schön gut gehen muß, wenn er vom besten Zweiten aller Zeiten nur einen mitnimmt. Denn man muß schon annehmen, dass Löw selbst es war, der Schmelzer anregte, in der Saison einen Schwerpunkt auf die rechte Seite zu legen - was ja auch mit erheblichem Erfolg gelang. Und Schmelzer dann genau nicht in den Kader nahm - noch nicht mal in den erweiterten.

     

    Irgendwie komische Sache, das.