HAMBURGER SZENE VON André Zuschlag
: Hanseatische Gelassenheit

Gewöhnlich schenkt man den Durchsagen in der U-Bahn wenig Beachtung: Sind ja meistens doch nur irgendwelche angekündigten Gleisarbeiten und dass deswegen übernächste Woche von Freitag bis zum Betriebsschluss am Sonntag Ersatzverkehr eingerichtet wird. Am Dienstagabend nun sorgte der Fahrer einer U1 in Richtung Ohlstedt mit seiner Durchsage für Aufsehen und Ruhe zugleich.

Gegen 18.30 Uhr hatte die Bahn gerade die Haltestelle Trabrennbahn verlassen. Die Strecke verläuft dort überirdisch. „Verehrte Fahrgäste, ich bitte einen Moment um Ihre Aufmerksamkeit“, erklang es plötzlich aus den Lautsprechern: „Schauen Sie doch bitte einmal in Fahrtrichtung links aus dem Fenster. In Fahrtrichtung links, bitte.“ Nein, das war keine dieser schon hunderte Male gehörten Baustelleninformation.

Und tatsächlich: Die Köpfe der Passagiere hoben sich von den Smartphones. „Bei dem, was sie dort sehen können, handelt es sich augenscheinlich um einen Tornado. Ich wiederhole: In Fahrtrichtung links befindet sich ein Tornado.“ Gemeinsam richtete sich der Blick aus den Fenstern. Da vorne war, hinter vereinzelten Bäumen, ja wirklich eine Windhose zu erkennen – nur wenige hundert Meter entfernt!

Es herrschte weiter Gelassenheit, zumal der Fahrer auch keine Anstalten machte, die Bahn zum Stehen zu bringen: Alle schauten interessiert, aber sorglos aus dem Fenster. Es muss am Fahrer gelegen haben. Der informierte so lässig und nüchtern über die mögliche Gefahr, dass niemand Angst bekam. Der weiß das schon genau einzuschätzen, dachte ich bei mir. Wahrscheinlich aber verfügte er nicht über Meteorologie-Expertise – sondern schlicht über ausreichend hanseatische Gelassenheit.