kurzkritik Tödliche Rhetorik

Die Marquise kommt in Tüllrock und Sonnenbrille durch das Fenster in das farbverkleckste Gelass gekrochen, den Blindenstock fest in der Hand. Doch wozu sich damit vorwärts tasten, wenn man gar nicht blind ist, dann doch lieber die Kücheneinrichtung damit kleinschlagen. Die Marquise de Merteuil und der Vicomte de Valmont suhlen sich in Heiner Müllers „Quartett“ nach den „Liaisons dangereuses“ von Choderlos de Laclos in einer sinnfreien Orgie von Sex und Gewalt, die sprachlich so geschliffen daherkommt, dass es keiner anderen Waffen mehr bedarf. „Ich beneide Sie nicht um die Kloake, die in Ihnen ist“, sagt die Marquise ganz am Schluss zum Vicomte, nachdem die beiden, immer wieder die Rollen tauschend, vorgeführt haben, wie sie zwei aufs Geratewohl erkorene Opfer – Klosterschülerin und tugendhafte Präsidentengattin – in einer sexgetränkten Tour de force auslöschen. Regisseurin Thirza Bruncken setzt Merteuil (Susanne Schrader) und Valmont (Andreas Krämer) in eine groteske Trashwelt, in der monströsen Penisattrappen an Valmonts Tüllrock hängen, die Merteuil mit Pappmaske breite Varianten der Selbst- und Fremdbefriedigung vorstellt. Manches kennt man zu Genüge: Der Koksspur auf dem Esstisch folgen allzu beflissen die Pillen und der Alkohol und mit Kunstblut hat man sich allzu oft eingerieben. Aber daneben gibt es Momente, in denen die Vergewaltigung mit Clownsmaske und Plastikpenis plötzlich ins Gespenstische umschlägt und solche eisiger Klarheit. Da reicht es, wenn die Merteuil den Blindenstock schwingend, einwirft: „Die Blinden haben das bessere Los in der Liebe: Die Komödie der Begleitumstände bleibt ihnen erspart.“

Friederike Gräff

„Quartett“ im Brauhauskeller. Nächste Aufführungen : 18., 22., 28. Oktober.