„Es kommen mehr Deutsche“

Die Bremer Tafel verzeichnet seit Hartz IV steigende Nachfrage und mehr Hilfsbereitschaft. 1.500 Menschen kommen pro Woche zu den zwei Läden der Tafel in Hastedt und Gröpelingen – die deshalb vor neuen Herausforderungen stehen

Bremen taz ■ Immer mehr Menschen besorgen sich ihre Lebensmittel nicht mehr im Geschäft, sondern bei der Bremer Tafel. Wer bedürftig ist und das per Bescheid nachweisen kann, bekommt einen Ausweis, der ihn einmal pro Woche berechtigt, bei der Bremer Tafel Lebensmittel abzuholen. An diesem Wochenende haben sich die Organisatoren der Tafeln in Bremen und Niedersachsen zu einem Erfahrungsaustausch getroffen. Die Zahl der Einrichtungen, die sämtlich ehrenamtlich betrieben werden, wächst beständig: Allein in Niedersachsen existieren aktuell 51 Tafelvereine, von denen zehn in den vergangenen zwölf Monaten gestartet sind, vier weitere sind in Gründung. Nach Schätzungen des Bundesverbandes „Deutsche Tafeln“ sind ein Viertel der Tafel-KundInnen noch im Kindesalter. Oskar Splettstößer, 71, Mitbegründer der Bremer Tafel (Foto), berichtet über die tägliche Arbeit und die Veränderungen seit Hartz IV.

taz: Wie organisieren Sie die täglichen Warenlieferungen?

Oskar Splettstößer: Das meiste holen wir routinemäßig Tag für Tag bei Geschäften und Firmen ab. Wir haben drei Fahrzeuge, in Kürze wird ein viertes dazukommen, weil der Bedarf gewaltig gestiegen ist.

Sind das Lebensmittel, deren Verfallsdatum bald abläuft oder schon abgelaufen ist?

Generell wollen wir keine Ware haben, die schon abgelaufen ist. Wir bekommen gottseidank oft auch Ware, die noch lange haltbar ist. Wir können fast das ganze Spektrum anbieten, das man auch im Supermarkt bekommt.

Wer sind Ihre Kunden?

Zu 90 Prozent sind es ALG-II-Empfänger. Es gibt auch ältere Abholer, deren Rente sehr gering ist, oder Arbeitslose mit geringfügigem Arbeitslosengeld.

Und der Bedarf hat zugenommen, sagen Sie?

Ja. Seit Anfang des Jahres die Hartz-IV-Gesetze in Kraft getreten sind, verzeichnen wir eine Steigerung der Nachfrage von 30 bis 40 Prozent.

Wie bewältigen Sie das? Haben Sie mehr Helfer oder schlicht mehr Arbeit?

Beides. An Helfern mangelt es zum Glück nicht. Es sind viele dabei, die selbst mal hier vor der Tür gestanden haben und später helfen wollten. Insgesamt haben wir an die hundert Helfer und Helferinnen.

Hat sich das Publikum mit Hartz IV verändert?

Die Mischung ist anders geworden: Es kommen mehr Deutsche. Bisher hatten wir viele Aussiedler unter den Abholern, dieser Schwerpunkt hat sich jetzt verschoben – Richtung Einheimische. Früher waren unsere Abholer auch vorwiegend über 50, inzwischen kommen zunehmend jüngere Menschen.

Wie viele Menschen kommen täglich zu Ihren beiden Läden?

Pro Tag kommen rund 300 Abholer, zwei Drittel in Hastedt und ein Drittel in unserem anderen Laden in Gröpelingen. Weil jeder ja nur einmal die Woche kommen darf, heißt das also, dass pro Woche im Schnitt 1.500 Abholer zur Bremer Tafel kommen. Und das sind keine Einzelpersonen, in den meisten Fällen hängt da eine Familie dran.

Merken Sie seit Jahresanfang, dass sich die Hilfsbereitschaft verändert hat? Wird Armut bewusster, sind mehr Menschen zum Helfen oder Spenden bereit?

Das ist schwer zu messen, aber vom Gefühl her würde ich sagen, dass es so ist. Wenn man ins Gespräch kommt mit anderen, die nicht von Armut betroffen sind, dann merke ich, dass das Bewusstsein dafür doch größer wird. Die Leute werden auch sensibler im Hinblick darauf, dass es irgendwann fast jeden treffen kann.

Was sind die anstehenden Herausforderungen an die Tafeln in Bremen und Niedersachsen in den kommenden Jahren?

Wir verzeichnen ja seit Jahren einen steigenden Bedarf, in diesem Jahr sprunghaft. Dieses kontinuierliche Wachsen erfordert einen großen Aufwand an Organisation. Wir arbeiten hier schon fast wie ein normaler Wirtschaftsbetrieb mit täglich 20 bis 25 Helfern alleine in Hastedt. Das sind zurzeit alles Ehrenamtliche. In absehbarer Zeit werden wir wohl mit fest Angestellten für die Organisation arbeiten, weil der Umfang zu groß wird. Das aber ist eine Kostenfrage.

Interview: sgi