Standortvorteil Deutschland

PRODUKTION Verlagern Firmen wegen der Energiewende Werke tatsächlich ins Ausland? Ja, warnt die Wirtschaft. Nein, zeigt eine neue Studie

„Made in Germany ist nicht einfach ins Ausland transferierbar“

STEFFEN KINKEL, FH KARLSRUHE

VON CÉDRIC KOCH

BERLIN taz | Kündigungen, Werksschließungen, Apokalypse: Wenn sie politische Maßnahmen nicht gutheißen, drohen Wirtschaftsvertreter gern, dass die Unternehmen ihre Produktion ins Ausland verlagern würden. Etwa bei der Energiewende: Ende November monierte der Verband der Chemischen Industrie hohe Mehrkosten. Am Montag warnte der Deutsche Industrie- und Handelskammertag, die Energiewende berge „auch Risiken für den Wirtschaftsstandort Deutschland“. Viel Panikmache, meint der Verein Deutscher Ingenieure (VDI). Denn tatsächlich sei die Verlagerung von Produktionskapazitäten ins Ausland auf den niedrigsten Stand seit 1995 gefallen. Eine am Dienstag veröffentlichte Studie bestätigt das.

Von den Firmen, die die Produktion ins Ausland abgeschoben hatten, gaben zudem nur 5 Prozent Steuern, Abgaben und Subventionen – etwa im Rahmen der Energiewende – als Grund an. „Der Querschnitt des verarbeitenden Gewerbes verlagert nicht wegen der Energiewende“, sagte VDI-Präsident Bruno Braun am Dienstag in Düsseldorf.

Das Fraunhofer-Institut für System- und Innovationsforschung hatte 1.600 Unternehmen des verarbeitenden Gewerbes befragt. Zentrales Ergebnis: Nur jedes dreizehnte verlegte in den letzten zwei Jahren Teile seiner Produktion in andere Länder. Bei der vorletzten Befragung 2006 war es noch jedes siebte gewesen. „Diese erfreulichen Ergebnisse sind ein gutes Zeichen für den Produktionsstandort Deutschland“, sagte Studienautor Steffen Kinkel. Und sie verfestigten einen Trend: „Die Verlagerung ist zum ersten Mal über einen Zeitraum von neun Jahren kontinuierlich gesunken.“ In den 1990er-Jahren hatte noch jede vierte befragte Firma Werke aus Deutschland abgezogen.

Nach wie vor begründen laut VDI 72 Prozent der verlagernden Betriebe den Schritt damit, dass die Lohnkosten im Ausland niedriger seien. Personalkosten könnten jedoch „alleine nicht das treibende betriebswirtschaftliche Argument“ sein, sagte Braun. Schließlich blieben mehr Unternehmen in Deutschland.

Tatsächlich ist es so, dass viele Firmen ausgelagerte Herstellung wieder zurückholen, weil sie merkten, dass Gehälter nicht der entscheidende Faktor sein müssen. Kinkel: „Lohnkosten machen nur 11 Prozent der Gesamtproduktionskosten aus.“

Marktnahe Produktion in Deutschland biete vor allem mehr Flexibilität. Ein bekanntes Beispiel: 2008 entschied die Plüschtierfirma Steiff, ihre Produktion aus China wieder nach Deutschland zu holen. „Als der Eisbär Knut plötzlich sehr gefragt war, konnten die Teddybären nicht schnell genug zu weißen Bären umproduziert werden“, sagt Kinkel. Die Transportwege seien zu weit gewesen.

Auch eine zu geringe Zuliefererdichte sowie Qualitätsmängel können Unternehmen dazu bringen, nach Deutschland zurückzukehren. „Made in Germany ist mit seiner Qualitätssicherung nicht einfach ins Ausland transferierbar“, sagt Kinkel.