Neuerdings packt mich die Wut, wenn ich aus dem Badezimmerfenster schaue. Dabei geht es nur um FuSSball
: Die Spießer von gegenüber

Foto: privat

AM RAND

Klaus Irler

Es gibt eine bestimmte Art von Wut, die zu Trotzverhalten führt. Kinder kennen dieses Gefühl gut. Ich selbst hatte diese Wut in den vergangenen 30 Jahren nur noch selten. Momentan habe ich sie jeden Morgen, wenn ich aus dem Badezimmerfenster schaue. Und das alles nur wegen Fußball.

Es ist nämlich so: Gegenüber von meinem Badezimmerfenster befindet sich eine luxuriöse Wohnanlage mit vielen Balkonen. Auf vier davon hängen deutsche Flaggen und zwar so, dass sie frontal auf mein Badezimmerfenster zeigen. Flaggen anderer Nationalitäten gibt es nicht und die Ausrichtung der Flaggen kann ich nicht anders verstehen, als dass ich der Adressat bin. Die satte, selbstgefällige, überalterte Mehrheitsgesellschaft von gegenüber drückt mir rein, wie geil sie Deutschland findet.

Nun bin ich selber Deutscher und wohne in einer luxuriösen Wohnanlage und sollte den Ball flach halten. Aber die Selbstzufriedenheit von gegenüber geht mir auf die Nerven. Ich fühle mich wie ein 13-Jähriger, der hochkocht, weil er nur noch Spießer um sich herum sieht. Es sind heuchlerische Scheiß-Spießer, verlogen grüßen sie nett und mähen den ganzen Tag den Rasen. Oder nein, sie lassen mähen, während sie oben am Balkon den Grill herrichten, ihre Fahnen aufhängen und sich als Weltmeister fühlen.

Wie der 13-Jährige brauche auch ich ein Ventil, aber mir fällt keines ein. Ich habe überlegt, vor meinem Badezimmer immer die Fahne des Landes zu hissen, gegen das die deutsche Mannschaft als nächstes spielt. Das aber ist gar nicht so einfach, weil es im Supermarkt gegenüber nur Deutschland-Fahnen gibt, aber keine von Nordirland.

Dann dachte ich, ich hisse eine Schlumpf-Fahne, als starkes Leck-mich-am-Arsch-Statement. Aber auch Schlumpf-Fahnen sind nicht einfach zu beschaffen. Ich werde beim nächsten Dom eine kaufen. Auf Vorrat, wenn die Spießer von gegenüber beim nächsten Turnier aus ihren Löchern kriechen.

Apropos Dom: Würde ich auf St. Pauli leben, hätte ich das Problem mit der Mono-Fahnen-Kultur nicht. Auf St. Pauli wehen Fahnen aller möglichen Länder, so, wie es sich für eine moderne Großstadt gehört. Aber ich lebe am Stadtrand in Niendorf, und da liegen die Dinge anders. In Niendorf beträgt der Anteil der Menschen mit Migrationshintergrund 19,7 Prozent, auf St. Pauli sind es 36,4 Prozent. Stand 31.12.2015.

Wobei natürlich nicht gesagt ist, dass viel Migrationshintergrund viele unterschiedliche Fahnen bedeutet. Wer weiß schon, wer welche Fahne aus welchen Gründen hisst? Ist auch egal. Mir geht’s um die Vielfalt. Wenn die nicht mehr spürbar ist, wird’s eng. Wenn es zu eng wird, reiße ich mein Badezimmerfenster auf und… hänge mein Jahn Regensburg-Trikot in den Fensterrahmen. Das mit der Händlmaier-Senf-Werbung vorne drauf. Ich weiß schon, dass Regensburg die Welt in Hamburg nur unwesentlich bunter macht. Regensburg ist ein sehr kleiner Tropfen auf einem sehr großen heißen Stein. Aber was soll ich machen?