Auf den Spuren von Don Quijote: Fantastische Abenteuer in der Mancha
Die Weltsicht des dürren Ritters Don Quijote ist auch ein Wunderelixier gegen die Tristesse des modernen Tourismus.
Der Teufel, der Teufel“, ruft aufgeregt der Kellner im Restaurant Perca Rosa im spanischen Ruidera und verschüttet den Rotwein. Ganze Familen, gerade noch friedlich beim Essen, laufen vor der merkwürdigen, hässlichen Gestalt im Restaurantgarten davon. Ein großer, entlaufener Ziegenbock, den Vorstellungen vom Leibhaftigen tatsächlich sehr nahe. Und Vorstellungskraft hat hier in der spanischen Mancha Tradition. Es ist Don-Quijote-Land.
Dort, wo Spanien ländlich, einsam und eigenwillig ist. Wo die Landschaft flach ins Unendliche läuft, wo Weinstöcke und Olivenbäume die in der Hitze flirrende, steinige Steppe beleben, wo die Sockel der Hauswände und die Fensterrahmen königsblau bepinselt sind; wo die Hitze im Sommer unerträglich ist und im Winter eiskalte Winde die weißen Windmühlen antreiben: hier in La Mancha, südlich von Madrid, im Zentrum Spaniens, kämpfte Don Quijote, „Der Ritter von der traurigen Gestalt“, gegen Windmühlen, Weinschläuche, Riesen. Immer dabei: sein treu ergebener Knappe, der bodenständige Sancho Pansa.
Die Lagunas de Ruidera sind eine spektakuläre Wasserlandschaft. In den 15 aneinandergereihten türkisblauen Seen spiegeln sich die Wolken wie Traumbilder eines Quijote. Zwischen den spanischen Provinzen Albacete und Ciudad Real liegt der Nationalpark Ruidera mit seinen Lagunen, die auf 30 Kilometer das Tal Alto Guadiana bilden. Eine außergewöhnlich schöne Landschaft: Seen, Berge, Täler und Höhlen. Durch diese touristisch entwickelte Region führt der Don-Quijote-Wander- Weg. Denn dort, in der Höhle des Montesinos, traf Don Quijote die Helden seiner Fantasie.
Montesinos ist Ritter zahlreicher spanischer Balladen. Er folgte der blutigen Spur seines Freundes und Cousins, Durandarte, nach der Schlacht von Roncesvalles. Als Montesinos seinen Freund fand, bat dieser darum, sein Herz auszuschneiden und es seiner Dame Belerma zu überreichen. Montesinos erfüllte den Wunsch. Herz, Schmerz, Ritterruhm, Ritterehre – der Stoff, aus dem die Träume des Quijote gewebt sind.
Die Ritterlegenden im „Don Quijote“
Guadiana und Ruidera mit ihren sieben Töchtern wurden in einen Fluss und Seen verwandelt von Merlin dem Zauberer aus Lancelot. „O unseliger Montesinos! O du wundgeschlagener Durandarte! O du glückverlassene Belerma! O tränenfeuchter Guadiana, und ihr auch, ihr von Unheil Getroffenen, ihr Töchter der Ruidera, ihr, deren Wasserströme zeigen, wie viel Tränenströme eure schönen Augen geweint!“
Die realen Wurzeln der Legenden im Werk des Schriftstellers Miguel de Cervantes, dessen 400. Todestag Spanien würdigt, deuten Psychoanalytiker, Literaturwissenschaftler, Historiker. Nach geologischen Forschungen jedenfalls soll der Höhlengrund Montesinos – so viel zu den Wasser- und Tränenströmen – mit der Lagune San Pedro über einen unterirdischen Strom verbunden sein: die Quelle des Rio Guadiana, der die tiefblauen Lagunen speist.
Don Quijote
„ 'Sancho, Sancho!, flüsterte Don Quijote. ‚Ein Abenteuer ist nahe.‘ “ Dabei sitzt er der Ritterpose des Schusters und Nachbarn Sancho Pansa aus dem gemeinsamen Heimatdorf auf: „ ‚Ich habe ganz Spanien durchstreift und alle fahrenden Ritter, selbst die stärksten und edelsten, zum Zweikampf herausgefordert und sie besiegt‘, erzählte der bronze- und spiegelgeharnischte Ritter mit bramarbasierendem Pathos. ‚Ich habe sogar, worauf ich am meisten stolz bin‘, fuhr der großsprecherische Recke fort, „einen Kampf mit dem berühmten Ritter Don Quijote von la Mancha siegreich bestanden und habe ihm das Geständnis abgerungen, dass meine Gebieterin schöner sei als seine Dulcinea von Toboso!' “
„Nichtswürdige Kreatur“, entgegnet Quijote. Die Ehre seiner Dulcinea ist ihm heilig. Nachdem sich Don Quijote selbst zum Ritter ausgerufen hat, sucht er nach einer edlen Dame, in die er sich verlieben kann, „denn der fahrende Ritter ohne Liebe sei ein Baum ohne Blätter und Frucht, ein Körper ohne Seele“. Er wählt die Bauerntochter Aldonza Lorenzo aus Toboso zur Geliebten. Er nennt sie: Dulcinea del Toboso.
Eine große platonische Ritterliebe
Während Aldonza, die „Echte“ Dulcinea, fürs Pökeln von Schweinefleisch bekannt ist und Sancho Pansa sie mit „Haaren auf den Zähnen“ und so kräftigen Armen wie durchdringender Stimme beschreibt, idealisiert Don Quijote seine Edeldame: „all die unmöglichen und nur von kühner Phantasie erträumten Reize, womit die Dichter ihre Geliebten begabt haben. Ihre Haare sind Gold, ihre Stirn ein Paradiesgarten, ihre Brauen gewölbte Regenbogen, ihre Wangen Rosen, ihre Lippen Korallen, Perlen ihre Zähne …“
Dulcinea ist für ihn „höchster Inbegriff aller Schönheit, Gipfel und Vollendung aller Klugheit und Bescheidenheit, Rüstkammer der anmutigsten Holdseligkeit, Vorratshaus aller Sittsamkeit, Vorbild alles dessen, was es Ersprießliches, Sittenreines und Erquickliches auf Erden gibt!“ Eine große, platonische Ritterliebe.
Die Quijote-Route: ein Netz von Wegen, das auf 2.000 Kilometern durch die Mancha führt. Die Route ist europäisches Kulturerbe. Auf den Wegstrecken gibt es viele Wander- und Radwege. www.spain.info/de
Cervantes in Madrid: In der Kirche des Klosters der Trinitarierinnen (Calle Lope de Vega 18) soll Cervantes begraben sein. Weitere Orte in Madrid sind die Taverne Casa Alberto, dort schrieb Cervantes den zweiten Teil des Quijote, und die Druckerei Juan de la Cuesta, wo 1605 die Erstausgabe erschien. Geführte Touren: www.viatorcom.de/de/7132/Madrid/d566-top-ttd
Das Buch: Der Roman „Don Quijote“ wurde von Miguel de Cervantes im 17. Jahrhundert geschrieben. Es soll das am häufigsten übersetzte Buch nach der Bibel sein. Auf Deutsch gibt es eine neue Übersetzung von Susanne Lange.
Diese Reise wurde unterstützt von Turespañ a
Die hübsche Ortschaft Toboso ist am Wochenende gut besucht. Im Restaurant El Quijote, wie könnte es anders heißen, gibt es Pisto Manchego (Gemüseeintopf), Migas (geröstete Brotstückchen), Asadillo (gerösteter Paprikasalat) und Wein aus der Mancha. La Mancha ist das größte zusammenhängende Weinbaugebiet der Erde.
In ertragreichen Jahren trägt die Mancha fast die Hälfte zur gesamten spanischen Weinproduktion bei. Cervantes bemerkt zum Manchego-Wein in der trockenen Meseta mit seinem trockenen Humor: „Er lobte den Wein so sehr, dass er ihn fast in den Himmel hob. Er geriet jedoch keinen Moment in die Gefahr, ihn so lange dort oben zu lassen, dass er hätte herunterregnen können.“
Toboso ist Ausflugsziel spanischer Familien, denn Don Quijote ist nationales Kulturgut, Held vieler Kindercomics und Schulbücher. Und 400 Jahre nach dem Tod seines Schöpfers Cervantes ist er Marketingmagnet. Auf Mallorca- und Ibiza-erprobte Touristen mag der wirre Ritter mit seinem Ehrgefühl genauso verstörend wirken wie das touristische Angebot der Mancha: eine trockene Ebene, unspektakuläre Dörfer, Burgen, die von den Schlachten zwischen Christen und Muslimen erzählen, schwerer Wein, rustikale Küche.
Der herumziehende Quijote als Marketingmagnet
Das angebliche Haus der Dulcinea in Toboso, ein traditionelles Haus mit einer Struktur aus dem 16. Jahrhundert, in dem eine Geliebte des Autors Cervantes gewohnt haben soll, ist heute Museum mit Alltagsgegenständen und einer Einrichtung aus der Zeit Cervantes’. Als Reiseandenken kann man hier Don Quijote und Sancho Pansa als Salz- und Pfefferstreuer, auf Mauspads, Fächern, T-Shirts kaufen. Ein paar Gassen weiter ist das Cervantes-Museum. Dort stehen wertvolle Erstausgaben des Autors. Der „Quijote“ erschien 1605 und 1650 in zwei Teilen.
400 Jahre nach dem Tod von Miguel de Cervantes ist der Roman über den dürren Ritter und seinen untersetzten Gehilfen Weltliteratur. Aber wer – außer Spanischstudenten – liest heute noch die langatmige Parodie auf Ritterromane? Der Ansturm internationaler Touristen auf die wasserarme Ebene südlich von Madrid hält sich in Grenzen. auch wenn Windmühlen für den wachsenden chinesischen Markt das Glückssymbol sind.
Ruidera und Toboso liegen auf der „Touristischen Route Don Quijote.“ Das Netz von insgesamt 2.000 Kilometern Wegstrecke verläuft in zehn Etappen nicht nur zu den vermutlichen Schauplätzen der Romanhandlung, sondern kreuz und quer durch La Mancha. Denn jeder Ort beansprucht den „Quijote“ irgendwie für sich, ließ doch der Autor selbst alles offen: „An einem Ort in der Mancha, ich will mich nicht an den Namen erinnern, lebte vor nicht langer Zeit ein Edelmann mit Lanze am Waffenhaken“, so beginnt der Roman.
Heute rühmt sich etwa das Dorf Campo de Criptana, die Bühne für das berühmteste Abenteuer von Don Quijote gewesen zu sein. Auf einer Ödfläche außerhalb des Ortskerns soll der Romanheld im Wahn die Windmühlen für Riesen gehalten und mit seinem Schwert bekämpft haben. Zehn Mühlen wurden für viel Geld restauriert. Einst standen hier 34 Windmühlen. In der neben einer Autobahn gelegenen 1.000-Seelen-Gemeinde Puerto Lápice soll Don Quijote in einer Schenke zum Ritter geschlagen worden sein. Man kann heute sehr gut dort essen.
In der Ortschaft Argamasilla de Alba mit 7.100 Einwohnen ist ein unterirdisches Gewölbe erhalten, in dem Cervantes inhaftiert gewesen und den ersten Band seines Romans geschrieben haben soll. Die Kleinstadt Alcázar de San Juan wurde von einigen Historikern als Geburtsort von Cervantes bezeichnet. Dort hatte man eine Taufurkunde mit dem Namen des Autors entdeckt. Allgemein gilt jedoch die Universitätsstadt Alcalá de Henares östlich von Madrid als Geburtsort des Schriftstellers. Sein angebliches Geburtshaus kann besichtigt werden, und alljährlich wird in Alcalá de Henares hochoffiziell der Cervantes-Preis für spanische Literatur vergeben.
Die touristische Wanderroute durch die Mancha
All die unauffälligen Gemeinden in der Mancha, die kein Dulcinea-Wohnhaus, keinen Cervantes-Knast, keine Windmühlen vorweisen können, errichten trotzdem Don-Quijote-Denkmäler, verkaufen Weine mit dem Logo des Ritters, bieten Cervantes-Menüs und fädeln sich auf diese Weise ins Marketingnetz der „Route des Don Quijote“ein.
Damit La Mancha zum touristischen Sehnsuchtsort wird, müsste jedoch die Vorstellungskraft eines Quijote ihren Siegeszug feiern und steinige Stoppelfelder in liebliche Seen, lineare Weinfelder in lichtdurchflutete Korkeichenwälder, verlassene Dörfer in florierende Marktflecken, Don-Quijote-Bars in Sancho-Pansa-Discos verwandeln. Fantasie an die Macht! Damit könnte auch jeder massentouristisch verschandelte Ort von Rimini bis Benidorm, jede verbaute Küste und sonst wie zerstörte Landschaft mit freundlichen Riesen, Paradiestürmen, kristallklaren Gewässern, durchtrainierten Supermännern und ewig jungen Prinzessinnen neu belebt werden. Einfach so im Kopf.
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