Berliner Szenen
: Ballerhain

Zehn Jahre später

Ich konnte mich nicht an die Widmung erinnern

Neulich hatte ich beruflich in Mallorca zu tun. Mein Arbeitsgebiet war auf die Zone des Ballermann beschränkt, wo ich noch nie gewesen bin. Jeden Tag führten mich meine Recherchen in die Megapark-Diskothek, wo leicht bekleidete Frauen auf Bierfässern tanzen, tätowierte Männer und Frauen Bier und Sangría in sich hineinschütten und die Putzfrauen kaum hinterherkommen, den Boden halbwegs sauber zu halten. Ich kam ins Gespräch mit einer Blondine, etwas naiv, aber sympathisch, eine gebürtige Ungarin, die in Berlin lebt und davon träumt, eines Tages auch am Ballermann zu arbeiten.

Inmitten grölender und saufender Menschen kamen wir aufs Lesen zu sprechen. „Ich lese ja überhaupt nicht!“, sagte die Ungarin freimütig. „Aber ein Buch habe ich gelesen!“ Sie erzählte, dass sie sich nicht mehr an den Nachnamen des Autors erinnern könne. „Das Buch hieß ‚Mond über Berlin‘, und der Vorname der Autorin ist Barbara.“ Ich fiel fast vom Hocker. „Waaas? Ich bin Barbara, und das war mein erster Jugendroman!“ „Waaas?“, schrie die Ungarin zurück.

Nach und nach dämmerte uns, dass wir uns vor gut zehn Jahren schon einmal getroffen hatten, in einem Zeitungsladen in der Boxhagener Straße in Friedrichshain, wo ich meine Zigaretten kaufte und wo ihr damaliger Freund arbeitete. Die beiden hatten sich gestritten, und sie saß mit verheulten Augen an der Kasse neben ihm, sodass ich ihr am nächsten Tag ein Exemplar des Buchs mit einer Widmung geschenkt hatte. In dem Buch geht es um ein 14-jähriges Mädchen, das herauszufinden versucht, was es mit seinem Leben anfangen will. Ich konnte mich nicht erinnern, was für eine Widmung ich hineingeschrieben hatte. Aber ganz sicher stand da nicht, dass sie ihr Glück in Mallorca am Ballermann suchen solle.

Barbara Bollwahn