Das große Nichtstun

Koalition Die Steuer- und Finanzpolitik der Großen Koalition plätschert seit drei Jahren beschaulich vor sich hin. Zu selten können sich Union und SPD einigen

Finanzpolitik fließt dahin wie ein langes, beruhigendes Gewässer. Zu unambitioniert, sagt Carsten Schneider (SPD) Foto: Paul Langrock/Zenit

Aus Berlin Hannes Koch

Carsten Schneider hat Zeit. Der Fraktionsvize der SPD im Bundestag stellt sich auf seinen Bürobalkon und raucht eine blaue Gauloise. Schöner Blick auf die Spree, die gemächlich am Reichstag vorbeifließt. „Ich schaue gerne aufs Wasser. Das beruhigt.“ Schneider, aus Erfurt stammend, 40 Jahre alt, ist Hobby-Angler.

Wie ein langer, ruhiger Fluss verlief in den vergangenen drei Jahren die Entwicklung bei seinem Lieblingsthema, der Finanz- und Steuerpolitik. Dabei hätten Union und SPD mit ihrer 80-Prozent-Mehrheit im Bundestag jede Menge bewegen können. Doch es herrscht weitgehend Tatenlosigkeit. „Die Finanz- und Steuerpolitik der Großen Koalition ist mir zu unambitioniert“, sagt Schneider. So ist es auch beim Streit über die Erbschaftsteuer, der am Donnerstag möglicherweise doch gelöst wird.

Dass nicht viel passieren würde, kündigte sich bereits in den Koalitionsverhandlungen 2013 an. Die SPD wollte gewisse Steuererhöhungen für Wohlhabende und Reiche durchsetzen. Doch die Union blockte ab. Schneider rief seinen Parteivorsitzenden Sigmar Gabriel an und fragte, was los sei. Er erhielt Auskunft: „Die Vereinbarung lautet: Im Mittelpunkt steht der ausgeglichene Bundeshaushalt. Steuerpolitisch machen wir nichts.“

Obwohl es durchaus notwendig gewesen wäre. Seit Jahren ist den Politikern bekannt, dass die soziale Spaltung zwischen Arm und Reich zunimmt, was die Legitimität der sozialen Marktwirtschaft und Demokratie insgesamt in Frage stellt. Niedrigere Steuern und Sozialabgaben für Geringverdiener und eine höhere Belastung der wirtschaftlichen Elite könnten hier ausgleichend wirken.

Doch die Union legte sich auf ein Versprechen fest: Keine Steuererhöhungen. Sie will sich damit von den Sozialdemokraten abgrenzen. Ralph Brinkhaus, Fraktionsvize der Union, verleiht der Blockade eine positive Interpretation: „Es ist ein Wert an sich, wenn einige Jahre Rechtssicherheit bei den Steuergesetzen herrscht.“

Gestaltende Steuer- und Finanzpolitik fand in der Folge oft nur dann statt, wenn man wirklich etwas tun musste. Beispielsweise weil das Bundesverfassungsgericht eine Neuregelung der Erbschaftsteuer für Unternehmen verlangte. In dieser Sache zerlegt sich die Koalition seit Monaten. Obwohl das Paket bereits ausgehandelt war, will die CSU unbedingt weitere Verbesserungen für mittelständische Firmen durchsetzen. Sollten bisher Handwerksbetriebe mit höchstens drei Beschäftigten von der Steuer auf vererbtes Betriebsvermögen verschont werden, könnte diese Grenze auf vier oder fünf Beschäftigte steigen.

Die SPD wird sich dieses Zugeständnis bezahlen ­lassen. „Wir werden Veränderungen bei der Erbschaftsteuer nur zustimmen, wenn sie das Aufkommen erhöhen“, sagt Schneider. Firmen oberhalb eines Wertes des Betriebsvermögens von etwa 80 Mil­lionen müssten dann mehr Erbschaftsteuer entrichten. Die CSU müsste also mit dem Gegen­teil dessen, was sie eigentlich erreichen wollte, leben – kein gutes Ergebnis für Bayerns Ministerpräsident Horst Seehofer.

Politisch gestaltet wurde oft nur, wenn es das Verfassungsgericht verlangte

Was haben die Finanzpolitiker der Koalition darüber hinaus während der vergangenen drei Jahre geleistet? Brinkhaus: „Finanz- und haushaltspolitische Erfolge der Großen Koalition sind unter anderem der ohne neue Schulden ausgeglichene Bundeshaushalt, erhebliche Fortschritte bei der Bekämpfung der internationalen Steuerhinterziehung sowie die finanzielle Entlastung der Kommunen.“ SPD-Kollege Schneider stimmt ihm im Prinzip zu.

Was kommt noch bis zur Bundestagswahl 2017? Zum Beispiel das Thema Grundsteuer – mit einer ähnlichen Konfliktlage wie bei der Erbschaftsteuer. „Wir müssen uns darauf vorbereiten, dass das Bundesverfassungsgericht Änderungen bei der Grundsteuer verlangt“, sagt Schneider. In Ostdeutschland basiert die Berechnung auf Einheitswerten aus dem Jahr 1935, in Westteil von 1964. Das führt zu massiven Unter- und Falschbewertungen von Häusern und Grundstücken.

„Insgesamt sollte die Grundsteuer auf einer realistischen Bemessungsgrundlage aufbauen“, fordert Schneider. Dies sei ein guter Weg, Besitzende stärker zur Finanzierung des Gemeinwesens heranzuziehen. Die Reaktion aus Bayern ist vorhersehbar: Keine Erhöhung. Auch CDU-Finanzpolitiker Brinkhaus sagt: „Die Ländervorschläge zur Reform der Grundsteuer werden wir sorgfältig prüfen. Wichtig ist uns insbesondere eine Aufkommensneutralität.“

Das Elend geht also weiter. Möglicherweise sogar über 2017 hinaus, falls keine andere Regierungskonstellation zustande kommt. Schneider: „Ich bezweifle, dass Rot-Rot-Grün im Bund eine Machtperspektive hat. Eine solche Regierung bräuchte eine gesellschaftlich getragene Stimmung und eine gemeinsame Geschäftsgrundlage – beides ist nicht zu erkennen.“