Großes Schweinetreiben

Nicht gegendarstellungsfähig (XXIII): Jony Eisenbergs juristische Betrachtungen. Zündelfreudige Berliner Polizei

„1,2 Mio. Sozialhilfe für Gangsterfamilie“, titelte der Berliner Boulevard letzte Woche. Die Geschichte dahinter: Ein Einwanderer soll im Jahre 1977 wahrheitswidrig behauptet haben, Kriegsflüchtling aus dem Libanon zu sein, Asyl erhalten, die Deutsche Staatsbürgerschaft erschlichen, danach 13 Kinder in die Welt gesetzt und mit seinem „Clan“ 1,2 Mio. Euro Sozialhilfe kassiert haben. In Wahrheit stamme er aus der Türkei. „Die Polizei hat die Großfamilie wegen Drogen- und Waffenhandels im Visier“, heißt es weiter. Und tatsächlich: Umfangreiche Durchsuchungen bei Angehörigen der Familie fördern bei einem der Kinder Waffen zutage; das wird darauf flugs zum Clanchef ernannt (obschon der Vater noch lebt).

Die Veröffentlichung geht auf Informationen zurück, die die Presse von einer Sonderkommission „Ident“ erhält, die seit Jahren Einwanderer aus den 70er- und 80er-Jahren (und Nachkommen) wegen angeblich falscher Herkunftsangaben jagt. Erklärtes Ziel ist, den Familienangehörigen ihre Aufenthaltsberechtigung zu entziehen (man sollte einmal die Einwanderergeschichten in den USA auf die Wahrhaftigkeit der Herkunftserklärungen untersuchen!).

Strafrechtlich ermittelt wird in unserem Fall gegen die nach 1977 geborenen Kinder. Alle haben deutsche Staatsangehörigkeit, weil angeblich ihre Eltern ihnen pünktlich zu ihrem 18. Lebensjahr die wahre Herkunft offenbart und sie dieses Wissen deutschen Behörden vorenthalten haben. Die Argumente der Familie dagegen: 1977 gab es für Türken offizielle Einreisemöglichkeiten als Arbeitsimmigranten, es hätte für den Vater kein Anlass bestanden, durch falsche Herkunftsangaben ein Aufenthaltsrecht zu erbeuten. Er sei tatsächlich Bürgerkriegsflüchtling und habe seit 1977 sozialversicherungspflichtig gearbeitet. Seine Kinder gehen arbeiten, sind gut sozialisiert, haben teilweise Lehrberufe erfolgreich abgeschlossen, leben unauffällig und nicht von Sozialhilfe. Es kann keine Rede davon sein, dass die Familie 1,2 Mio. Sozialhilfe kassiert hat. Bei keinem Familienangehörigen wurden Drogen gefunden, die in der Presse genannten Funde beziehen sich auf Personen, die nicht zur Familie gehören. Diese Argumente sind in der Presse nicht zu finden.

Es ist dies nicht das erste Mal, dass die Polizei Medien mit Informationen über angeblich kriminelle Familien- und Clanstrukturen füttert und behauptet, vor einer halben Generation seien Aufenthaltsrechte mit falschen Argumenten erschlichen worden.

Jüngere Polizeifunktionäre publizieren feuilletonistisch wirkende Artikel in Fachzeitschriften, in denen sie – auch personenbezogen – Akten auswerten. Alle paar Monate treiben sie mit Hilfe des Boulevard eine neue Sau durchs mediale Dorf. Fazit stets: Die kinderreichen arabisch-, nein in Wahrheit türkischstämmigen Familien sind kriminell und kassieren zu Unrecht Sozialhilfe.

Weder der Polizeipräsident noch der sozialdemokratische Innensenator unterbindet diese publizistischen Aktivitäten aus der Polizei. Die Wirkung: Die Lebenssituation der Angehörigen der betroffenen Familien wird in vielfältiger Weise beeinträchtigt, ihre soziale, berufliche, wirtschaftliche und rechtliche Sicherheit nachhaltig gestört. Und der Pöbel, der mit diesen „Informationen“ gefüttert wird, festigt sein Weltbild: Die kinderreichen arabisch-, nein, türkischstämmigen Clans sind eine Ansammlung von Kriminellen.

Unser Autor ist Strafverteidiger und Presseanwalt in Berlin