nebensachen aus tokio
: Was im Zahlenmeer untergeht: Volksbefragern fehlt das Interesse an Hausarbeit

Die japanischen Statistiker wollen es in diesem Jahr genau wissen: Wie viele Personen wohnen in Ihrem Haushalt, Alter und Art des Wohnhauses (bitte ankreuzen: Mietshaus, Terrassenhaus, Apartmenthaus, Reihenhaus oder anderer Haustyp)? Aus den Antworten der Volksbefragung werden die Beamten dann ermitteln, dass Alleinstehende am häufigsten in Apartmenthäusern wohnen und Familien im Mietshaus.

Doch was führen die Zahlenmänner im Schilde, wenn sie sich nach dem genauen Stockwerk der Wohnung erkundigen? Berechnen sie die durchschnittliche Stockwerkzahl der Apartmentgebäude in Tokio und vergleichen das Resultat mit dem Koeffizient der Terrassenhäuser? Vielleicht setzen sie die Stockwerkzahl in Relation zur Berufstätigkeit, und wir wüssten in Zukunft, welches das durchschnittlich bevorzugte Stockwerk eines „Direktors“ ist.

Unter Frage neun kann man nämlich ankreuzen, ob man in einem angestellten Verhältnis steht, selbstständig erwerbend ist, Nebenjobs nachgeht, Teilzeit arbeitet oder eben einer Beschäftigung als „Direktor“ nachgeht.

Die neugierigen Bürokraten erfragen weiter, was und wie viel in Referenzwoche x gearbeitet wurde. Zum besseren Verständnis sind Beispiele eines Leuchtröhrenmonteurs, eines Kochs und eines Callcenter-Mitarbeiters in einem separaten Merkblatt ausführlich erläutert.

Kein Interesse haben die Statistiker am Tätigkeitsfeld „Hausarbeit“. Ein Pfeil zum Ende des Fragebogens indiziert, dass für diese Personen keine weiteren Fragen vorgesehen sind. Sie haben bereits mit der Beantwortung der ersten sechs Fragen ihre BürgerInnenpflicht erfüllt.

Eigentlich ist es ja richtig, dass Japans Hausfrauen, die „Shufu“, nicht länger ihre Zeit verplempern. Sie haben Lunchboxen zu packen, müssen Uniformblusen stärken und Vierjährige auf die Eintrittsprüfung zum Kindergarten vorbereiten. Und geht man von der Unmenge weißer Hemden aus, die täglich auf unseren nachbarlichen Balkonen zum Trocknen aufgehängt werden, ist klar: Die Shufu zeichnet auch für Ehemanns faltenlose Arbeitskluft verantwortlich. Nebenbei erledigt sie den Hausputz und pflegt die schwächliche Schwiegermutter.

Ob sie Einkäufe mit dem Auto oder Fahrrad macht, werden wir nie erfahren. Fragen zum Mobilitätsverhalten wurden nicht einmal der außer Haus arbeitenden Bevölkerung gestellt. Uninteressiert sind die Statistiker nicht nur an Pendlergewohnheiten und Hausarbeit. Auch Themen wie Kinderbetreuung oder Freiwilligenarbeit (kein japanisches Museum ohne „Volunteer“, keine Konferenz ohne unbezahlte Helfer) sind offensichtlich nicht relevant.

Dass es Relationen zwischen Stockwerken, Arbeitszeit und Berufskategorie geben kann, hat man im Statistischen Amt in Erwägung gezogen. Die Einsicht, dass auch die rekordtiefe Geburtenrate, die fehlende externe Kinderbetreuung und die wenig geschätzte Haus- und Familienarbeit zusammenhängen könnten, scheint den Volkszählern im Zahlenmeer untergegangen zu sein. MARCO KAUFFMANN