„Die Todesstrafe muss abgeschafft werden“

Ein juristisches Kolloquium in Peking kritisiert die Anwendung der Todesstrafe in China und fordert Reformen. Auf dem Weg zur völligen Abschaffung sollen zunächst nur noch Schwerverbrechen mit dem Tod geahndet werden können

PEKING taz ■ In der Kommunistischen Partei ist das Thema tabu. Im offiziellen deutsch-chinesischen Rechtstaatsdialog wird es bislang nur informell am Rande verhandelt. Dennoch kann in China auf offener Bühne über die Todesstrafe gesprochen werden – und zwar mit aller nötigen Kritik. Zum Beweis dafür lud gestern das Forschungszentrum für Strafrecht der Universität für Politik- und Rechtswissenschaft zu einem öffentlichen Kolloquium über die Todesstrafe ein. Von der Rückständigkeit des Vergeltungsprinzip sprachen dort die chinesischen Juristen. Sie geißelten den „Traum von der Abschreckungswirkung der Todesstrafe“, und lobten den weltweiten Trend zu ihrer Abschaffung. „Die Abschaffung der Todesstrafe ist Zeichen einer hohen Zivilisationsstufe“, betonte die Juraprofessorin Yue Liling der gastgebenden Universität im einleitenden Vortrag. „Die Todesstrafe muss abgeschafft werden, weil sie unkorrigierbare Irrtümer produziert“, sagte ein chinesischer Richter.

Das sind ungewöhnliche Töne für eine Volksrepublik, in der die Justiz weit mehr Menschen tötet als in jedem anderen Land der Welt. Laut der Menschenrechtsorganisation amnesty international fanden im Jahr 2004 von weltweit 3.797 dokumentierten Hinrichtungen 3.400 in China statt. Amnesty verzeichnet jedoch nur die in China offiziell gemeldeten Hinrichtungen, die Dunkelziffer liegt weit höher. Laut Schätzung eines Abgeordneten des Nationalen Volkskongresses wurden in China in den letzten Jahren jährlich etwa 10.000 Todesurteile ausgesprochen, davon ein Teil auf Bewährung. Seine Angaben lassen sich nicht überprüfen, und der Abgeordnete wurde bereits gemahnt, seine Aussagen zur Todesstrafe nicht öffentlich zu wiederholen. Folglich bleibt die wahre Zahl der Todesurteile in China ein wohl gehütetes Staatsgeheimnis – dass ihre Zahl aber zu hoch liegt, war auf dem Kolloquium Konsens. Die Kritiker fordern deshalb, zunächst den Anwendungsbereich einzuschränken. Das Strafgesetzbuch sieht für knapp 70 Vergehen ein mögliches Todesurteil vor. Die Kritiker werben dafür, nur noch Schwerverbrechen mit dem Tod zu ahnden. „Wir dürfen nicht mittels der Todesstrafe regieren. Das offenbart einen Mangel an politischem Selbstbewusstsein“, mahnte Chen Xingliang, Vizedirektor der juristischen Fakultät der Universität Peking.

Die Befürworter der Todesstrafe in China, laut Umfragen über 90 Prozent der Bevölkerung, kamen auf dem Juristentreffen ausnahmsweise nicht zu Wort. Dafür waren eine Reihe Juristen aus Deutschland geladen – sie sollten aus Sicht ihrer Gastgeber zeigen, dass sich China mit seiner Todesstrafenpraxis „auf dem Weg in die staatsrechtliche Isolation“ befinde.

Das Kolloquium war erst das dritte seiner Art. Erstmals fand 2002 in der Provinz Hunan eine kritische Juristentagung zur Todesstrafe statt. 2004 folgte ein Kolloquium der Pekinger Volksuniversität zur Todesstrafe mit britischen Experten.

GEORG BLUME
JOHANN VOLLMER