Vergoren Schon mal Naturwein getrunken? Weiß man oft nicht, weil man ihn nicht unbedingt erkennt. Sommelier Jan Hugel klärt über ein geheimnisvolles Getränk auf
: „Alles muss kontrolliert werden“

Es strömt Wein ins Glas. Welche Hefe zum Einsatz kam, weiß nur der Winzer Foto: Image Source/getty

Interview Jörn Kabisch

taz.am wochenende: Herr Hugel, Sie sind Sommelier für Naturweine, die gerade ziemlich im Trend sind …

Jan Hugel: Trend? Nein, für Deutschland lässt sich das noch nicht sagen. Es ist eher eine Nische.

Ach ja?

Hierzulande sind es höchstens zwanzig Winzer, die sich mit dem Thema beschäftigen und tatsächlich Naturwein herstellen. Und wir haben mit dem WildThings gerade erst die zweite reine Naturweinbar in Deutschland eröffnet. Außerdem: So richtig eignet sich die Sache gar nicht für einen Trend.

Warum nicht?

Weil die besten Leute, die Naturwein machen, das gar nicht aufs Etikett schreiben.

Dann ist es also möglich, dass ich auch schon Naturwein getrunken habe?

Absolut. Wenn Sie nicht nur Supermarktwein trinken.

Was ist überhaupt Naturwein? Wein an sich ist doch schon sehr natürlich.

Es ist vor allem eine Frage der Kontrolle.

Weil es sich um spontan vergorene Weine handelt und der Winzer den Hefen vertraut, die sich natürlich auf den Trauben absetzen?

Ganz genau. Die Hefe ist das, was aus dem Zucker im Traubenmost den Alkohol macht. Man kann dabei auf die wilden Hefen im Weinberg setzen oder auf neutrale Hefen oder sogenannte Aromahefen, die der Winzer nach dem Maischen hinzugibt.

Das macht einen Unterschied?

Ganz erheblich. Welche und wie viele unterschiedliche Hefen beim Gärprozess beteiligt sind, wirkt sich entscheidend auf den Geschmack eines Weines aus. Setzt man auf spontane Vergärung, kann einiges schiefgehen. Im besten Fall aber erhält man Weine, die nicht nur toll schmecken, sondern traditionelle Geschmacksbilder der Moderne über den Haufen werfen.

Klingt wirklich ziemlich unkontrolliert.

Und die Arbeit dafür beginnt schon auf dem Weinberg. Naturwinzer arbeiten biologisch oder biodynamisch, verzichten also komplett auf chemische Spritzmittel und verwenden zur Pflanzenheilung nur Tinkturen und Infusionen, arbeiten fast ausschließlich mit der Hand. Bei der Vinifizierung verzichten sie ebenfalls auf Zusätze oder Hilfsmittel, also auf Zucker, Vitamine oder Säuerungsmittel. Und im besten Fall auch auf Sulfit.

Das heißt, der Wein wird nicht geschwefelt?

Ja, Sulfit ist ein in der Lebensmitteltechnik gebräuchliches Toxikum, eigentlich ein Konservierungsmittel. Es tötet alle mikrobiologischen Prozesse ab.

Und stoppt die Gärung?

Komplett. Die Frage ist, wann gibt man den Schwefel dazu? Naturwinzer oder einfach nur gute Winzer tun das meist erst, wenn sie den Wein auf die Flaschen ziehen. Und sie verwenden dabei so wenig wie möglich.

Was passiert, wenn man es nicht täte?

Es kann sein, dass der Wein weiterarbeitet. Ich habe schon erlebt, dass eine Flasche Naturwein ohne Schwefel im Regal explodiert, weil er seit einem halben Jahr da liegt und es so warm geworden ist, dass der Gärprozess wieder eingesetzt hat. Wegen der Kohlensäure, die dabei entsteht, liegt zu viel Druck auf der Flasche. Das ist ein Risiko, aber eigentlich eine ganz natürliche Geschichte.

Und wie kontrolliert man nun?

Viele Winzer gehen schon im Weinberg mit so viel Chemie um, dass sich gar keine natürliche Hefe auf den Trauben ablagern kann. Im konventionellen Weinbau wird sogar nach dem Maischen Schwefel zum Wein dazugegeben, um die natürliche Gärung zu unterbrechen. Anschließend setzt der Winzer ausgewählte Hefen hinzu. Er kann damit recht genau abschätzen, was hinten rauskommt.

Was man schlecht kritisieren kann?

Jan Hugel

Foto: privat

35, hat den Naturwein mit in die Hauptstadt gebracht. Seit einem Monat ist er Sommelier in der Weinbar Wild Things in Berlin-Neukölln

Ich will nur erklären, warum das Thema hierzulande bei Winzern und Sommeliers so unglaublich schwierig ist. Es herrscht noch ein sehr klares, analytisches Geschmacksbild.

Und das ist in anderen Ländern anders?

Ganz sicher. Ich habe lange in Frankreich gelebt und auch in Schweden. Deutschland und die ­skandinavischen Länder haben eine sehr hohe Kultur der Unsicherheitsvermeidung. Alles, von dem man nicht weiß, wie es sich entwickelt, versucht man mit Regularien und Prozeduren zu kontrollieren. Auch beim Wein. Die Winzer in Frankreich lassen sich auf viel mehr ein. Aber sie wissen, was sie tun. Natürlich ist Kontrolle wichtig. Beim Naturwein hat man die aber nur, wenn die Winzer Kontakt haben zu dem, was sie machen. Bei dieser Art des Verfahrens kann man keine 180 Hektar bearbeiten, sondern vielleicht 20, manchmal nicht mal die.

Klingt, als würden die Wein machen wie vor 150 Jahren.

Mit dem Unterschied, dass wir moderne Kellertechniken haben. Die Temperatur in den Fässern lässt sich etwa regulieren und damit auch die Aktivität der Hefen beim Gärprozess.

Wie erkenne ich Naturwein?

Das ist schwierig. Nirgendwo steht Naturwein drauf oder wie viel Schwefel der Wein enthält. Man braucht jemanden, dem man vertrauen kann.

Also wird der Sommelier wieder wichtiger?

Im Prinzip, ja. Aber ich erlebe immer wieder Sommeliers alter Schule, die mit einem bestimmten Bildungsauftrag unterwegs sind und wunderbar referieren können. Bei Naturwein sind sie komplett ihrer Kompetenz beraubt.

Die Essecke: Jörn Kabisch befragt auf dieser Seite jeden Monat Praktiker des Kochens. Außerdem im Wechsel: Philipp Maußhardt schreibt über seinen offenen Sonntagstisch, Waltraud Schwab macht aus Müll schöne Dinge, und unsere Autoren treffen sich mit Flüchtlingen zum gemeinsamen Kochen.