Hühner müssen draußen bleiben

Weil Verbraucher hierzulande nur das Beste vom Huhn wollen, exportieren die Europäer den Rest. Unappetitlich: Der Handel ruiniert zum Beispiel die Farmer in Kamerun

BERLIN taz ■ Was weltreisende Hühnchenteile anrichten, das hat die Kameruner Farmerin Tilder Kumichii erlebt. Am Wochenende teilte die Initiatorin einer afrikanischen Bürgerinitiative ihre unerfreulichen Erfahrungen mit dem Welthandel auf einer Veranstaltung des globalisierungskritischen Netzwerks Attac mit. Kumichii saß vor einem Transparent mit der Forderung: „EU-Dumpinghähnchen ruinieren Westafrika – keine chicken schicken“. Soll heißen: Europäer sollten ihr Hühnerfleisch besser behalten, anstatt es weltweit auf die Märkte zu schleusen.

„Wir sind es eigentlich nicht gewohnt, Hühnchen aus der Tiefkühltheke zu kaufen. Wir kaufen sie lebend auf dem Markt“, sagte Kumichii. Doch habe sich die Situation geändert, nachdem Kamerun 1995 Mitglied bei der Welthandelsorganisation (WTO) wurde. „Im Jahr 1994 hat Kamerun 60 Tonnen tiefgefrorenes Hühnchenfleisch importiert. 1995 waren es schon 490 Tonnen“, erklärt Kumichii. Und in 2003 seien es bereits satte 22.200 Tonnen gewesen. Und: In anderen Ländern entlang der afrikanischen Küste seien die Importe ähnlich gewichtig.

Für Kumichii ist der Grund für den regen Handel klar: „Der europäische Konsument ist selektiv. Er verlangt nur noch nach Hähnchenkeule oder Hähnchenbrust. Der Rest ist Ausschuss.“ Vor der BSE-Krise seit Mitte der 90er-Jahre sei dieses Fleisch zu Tiermehl gemahlen und verfüttert wurde. Heutzutage ist das aber verboten.

„Für EU-Massenproduzenten ist es billiger, Fleischstücke, die der europäische Konsument nicht schätzt, nach Afrika zu exportieren, statt sie zu entsorgen“, erklärte die Kamerunerin.

Das ruiniere die afrikanischen Geflügelzüchter. In 2002 habe ein lokal großgezogenes Huhn auf dem Markt umgerechnet 2,40 Euro gekostet. Das europäische Hühnchenfleisch sei bereits für 1,76 Euro zu haben.

Die Folge beschreibt Kumichii so „Von 100 Züchtern, die 1996 weniger als 500 Hühner mästeten, waren 2002 nur noch acht übrig.“ Das sei besonders problematisch, da viele Bauern einen Kredit von der Afrikanischen Entwicklungsbank bekommen hätten, um ihren Betrieb aufzubauen. Diese Kredite könnten sie nun nicht zurückzahlen. Aber es trifft nicht nur die Bauern, sondern auch viele Händler – mit ihren Familien. Insgesamt hätten 100.000 Kameruner ihre Lebensgrundlage in den letzten zehn Jahren durch den neuartigen Warenverkehr verloren.

Darüber hinaus sei der Hühnerhandel unappetitlich. Das europäische Fleisch wird auf dem Weg zum afrikanischen Konsumenten häufig schlecht. Die Kühlkette kann nicht eingehalten werden. „In Kamerun wird die importierte Ware auf den Märkten als gefrorenes Hühnchen angeboten – aber oft einfach auf den Tischen oder eingewickelt im Zeitungspapier auf dem Boden ausgelegt“, erklärt Kumichii. Die Bürgerrechtlerin bezieht sich auf eine Studie, die sie beim Kameruner Centre Pasteur in Auftrag gegeben hat. Ergebnis: 83,5 Prozent der auf Märkten angebotenen „gefrorenen Hühnchen“ waren ungeeignet für den menschlichen Verzehr. Sie bergen das Risiko einer Salmonellenerkrankung.

Nach Ansicht von Attac hat die Welthandelsorganisation WTO Schuld an dem Dilemma der Afrikaner: Weil die WTO fordere, die Agrarmärkte weltweit zu liberalisieren, könnten Regierungen Importe von Lebensmitteln nicht mehr reglementieren.

ANNETTE LEYSSNER