Schleppender Siegeszug

Fahrradstraßen Bremen hat viele Strecken geschaffen, auf denen Fahrräder Vorfahrt haben. Das funktioniert desto besser, je mehr Fahrradfahrer unterwegs sind

Hansestädte im Vergleich

Laut Bundesverkehrsministerium wird in Bremen fast jede vierte Strecke mit dem Rad zurückgelegt. In Hamburg ist der Fahrradverkehrs-Anteil mit etwa 12 Prozent nur halb so hoch

von Jean-Philipp Baeck

Gemütlich sieht es aus und eher wie ein Ausflug als ein Weg zur Arbeit: Eine Frau im Rock fährt auf ihrem Hollandrad vorne weg und unterhält sich mit dem Mann, der neben ihr auf einem alten, gut gepflegten Rennrad auf ihrer Höhe bleibt. Knapp dahinter, etwas versetzt auf der Straßenmitte, folgt ihnen eine Frau auf dem nächsten Velo. Die drei fahren an diesem Morgen in Bremen in Richtung Innenstadt. So versetzt und nebeneinander blockieren sie den Kleinwagen hinter ihnen – aber so ist es, zum Leidwesen einiger Kraftfahrer, ihr gutes Recht: Seit Februar 2015 ist die Humboldtstraße eine Fahrradstraße, zu jenem Zeitpunkt die 16. ihrer Art in der Stadt.

Das heißt: Autos sind hier nur geduldet, Rädern gehört die Fahrbahn. Große Schilder am Anfang und Ende der fast einen Kilometer langen Strecke markieren das Territorium. Weiße Kreise mit einem Fahrrad-Piktogramm, die fast über die ganze Fahrbahn reichen, machen das Ungewohnte unmissverständlich klar.

Auf Fahrradstraßen gilt für alle VerkehrsteilnehmerInnen eine Höchstgeschwindigkeit von 30 Stundenkilometern. Wenn ein Auto aus einer Seitenstraße von rechts einbiegen will, müssen die Fahrradfahrer warten. Ansonsten aber haben sie hier Vorfahrt, zumindest vor den mitfahrenden Autos.

Zu Stoßzeiten, wenn etwa morgens jede Menge Leute mit dem Rad zur Arbeit fahren und kleine Grüppchen bilden, funktioniert das auch. Die folgenden Autos müssen dem ansonsten fast automatischen Reflex widerstehen, Radfahrer sobald wie möglich zu überholen. Sie juckeln hinter den Velo-Trauben her.

Abends jedoch, wenn nur noch vereinzelt Radfahrer unterwegs sind, trauen sie sich oft nur noch an den Rand der Straße. Treffen sie dann noch auf Autofahrer aus dem Umland, für die Fahrradstraßen Neuland sind, wird es ungemütlich: Genervt drückt dann mancher PKW-Fahrer aufs Gas, schneidet dem Rad den Weg ab oder drückt auf die Hupe.

Und auch viele Radfahrer haben das Modell noch nicht verinnerlicht: Statt auf der Straße nehmen sie den Bürgersteig. RentnerInnen beschweren sich, auf dem nun eigentlich für sie exklusiven Fußweg immer noch in Bedrängnis zu geraten. Die Bremer Senioren-Aktivistin Elsbeth Rütten fordert ob der anarchistischen Zustände in der Humboldtstraße gar eine Kennzeichnungspflicht für Fahrradfahrer.

Doch auch der Allgemeine Deutschen Fahrradclub ADFC ist nicht zufrieden. Dessen Verkehrsreferent in Bremen, Albrecht Genzel erklärt, dass sie sich eigentlich eigene, exklusive Wege nur für Radfahrer wünschten – die Fahrradstraßen seien nur ein Kompromiss.

Im Vergleich zu Hamburg ist Bremen allerdings eine Fahrrad-Oase. Fahrradfahrer in Hamburg müssen darauf gefasst sein, dass Autos ihnen den Weg abschneiden, sie anhupen und ausbremsen. Für viele Autofahrer sind sie offenbar in erster Linie bewegliche Hindernisse und Störenfriede, ein Feind im Krieg der Straße.

Beim letzten „Fahrradklima-Test 2014“ des ADFC kam Hamburg auf Platz 35 von 39. Bremen hingegen verbesserte sich von Platz 6 auf Platz 5. Abgefragt wird für den Test unter anderem, ob Radfahrer von Autofahrern akzeptiert werden, Radwege regelmäßig zugeparkt sind oder das Radeln Spaß macht – keine repräsentative Umfrage, aber wohl ein Anhaltspunkt.

Fuß oder Fahrrad

Es ist ein Teufelskreis: Je seltener Radfahrer unterwegs sind, desto mehr werden sie für Autofahrer zu störenden Fremdkörpern. Laut Bundesverkehrsministerium wird in Bremen fast jede vierte Strecke mit dem Rad zurückgelegt. In Hamburg ist der Fahrradverkehrs-Anteil mit etwa 12 Prozent nur halb so hoch – und liegt damit nah am Bundesdurchschnitt von zehn Prozent. Der Anteil des „motorisierten Individualverkehrs“ ist in Bremen und Hamburg ungefähr gleich, er liegt bei 40 beziehungsweise. 42 Prozent. Hamburger bewegen sich allerdings mehr mit Bus und Bahn (18 Prozent) und deutlich mehr zu Fuß fort (28 Prozent). In Bremen nehmen 14 Prozent Bus und Bahn, 21 Prozent gehen zu Fuß.

Mit der Ausbreitung der E-Bikes und Pedelecs könnten in Zukunft mehr Menschen bereit sein, längere Strecken mit dem Rad zurückzulegen. Unterstützt durch den kleinen Motor sind zehn oder 15 Kilometer zur Arbeit für viele durchaus machbar. Im Bremen Verkehrsressort stehen schon einige „Premium-Routen“ für Fahrräder auf dem Plan, so soll der abgelegene Bremer Norden mit der Innenstadt und weiter mit dem Stadtteil Hemelingen im Südosten verbunden werden.

Sechs weitere solcher Premium-Routen sind im Verkehrsentwicklungsplan 2025 festgeschrieben. Mit dem Plan hat der Bremer Umwelt- und Verkehrssenator die Marschroute für die nächsten 15 Jahren konzipiert. Die „Gleichberechtigung aller Verkehrsteilnehmer“ ist dabei ein erklärtes Ziel.

Der Siegeszug des Rades bewegt sich doch recht gemächlich. Andererseits sind Fahrradstraßen und Premium-Routen Entwicklungslinien, die zeigen, wohin die Reise geht. Und wie leicht sich die Verkehrsordnung auf den Kopf stellen lässt.