Wenn Geisternetze fischen

Müll Sie sind eine Todesfalle für Wale, Vögel und Fische – doch die Bundesregierung will nichts tun

HAMBURG taz | Sie geistern durch die Meere – und sie töten. „Verloren gegangene Fischernetze werden für Fische, Krebstiere, Schweinswale, Seehunde und andere Meeressäuger sowie Seevögel oft zu einer tödlichen Falle, da sie noch für Jahrzehnte weiter ‚fischen‘ können“, räumt die Bundesregierung in ihrer Antwort auf eine Anfrage der grünen Bundestagsabgeordneten Steffi Lemke ein.

Laut Weltgesundheitsorganisation WHO schwimmen etwa 640.000 Tonnen Kunststoffnetze durch die Ozeane, rund zehn Prozent des gesamten im Meer treibenden Mülls. In Nord- und Ostsee sind es laut WHO sogar mehr als zwölf Prozent. Damit trage die Fischerei „einen nennenswerten Anteil zum Plastikmüll in den Meeren bei“, so das Bundesumweltministerium.Und das hat weitere Folgen. Auf der einzigen deutschen Brutkolonie der bedrohten Basstölpel auf der Nordseeinsel Helgoland wies das Umweltbundesamt Reste von Netzen und Leinen in 98 Prozent der Nester nach. Die Sterblichkeitsrate liege zwei- bis fünfmal höher als gewöhnlich, „weil sich die Tiere oft strangulieren“, teilt die Bundesregierung mit.

„Diese Geisternetze sind eine Gefahr für die Artenvielfalt“, konstatiert Lemke, „ganz konkret auch in Nord- und Ostsee.“ Seevögel können sich daran verschlucken, Schweinswale und Seehunde daran ertrinken. In wärmeren Gewässern gefährden sie Schildkröten. Allein in Europa gehen laut WHO Jahr für Jahr 25.000 Netze mit etwa 1.250 Kilometer Länge verloren. Von Gegenmaßnahmen allerdings will das Ministerium weiterhin absehen. Fischereiboote würden „stichprobenartig“ überprüft, Meldungen über verloren gegangene Netze seien aber „nur vereinzelt eingegangen“, so die behördliche Antwort – ohne Selbstanzeige mithin kein Handlungsbedarf. Es gebe „keine Notwendigkeit für weitergehende Maßnahmen“, insbesondere werde ein Meldesystem oder eine Datenbank für verlorene Fischfanggeräte „nicht für notwendig erachtet“.

Obwohl die Zahl der Geisternetze im Meer weiter steige und sie für zahlreiche Arten zur Todesfalle werden, „legt die Bundesregierung die Hände in den Schoß“, kritisiert Lemke. Notwendig seien „vermehrte Kontrollen auf Schiffen, eine konsequente Kennzeichnung von Netzen mit entsprechenden Sanktionsmöglichkeiten und ein vernünftiges Meldesystem – nur so können wir das Problem der Geisternetze angehen“, sagt Lemke. Sven-Michael Veit