BERLIN - VON KENNERN FÜR KENNER „An diesem Tisch bekommen Sie nichts“

Jan Feddersens Gastro-Kritik: Das Café Rix ist ein Tempel neuköllnischer Lebensart. Schade, dass es Gastfreundschaft misslich interpretiert

Das Café Rix ist etwas hinterhöfisch gelegen, doch ein Tempel der sozialarbeiterischen Inbrunst. Neuköllnische Lebensart ohne Dönerschischi und Currywursthaftigkeit. Man ist nicht Kreuzberg, aber, jawoll, auch wunderbar. Hier trifft sich alles, was kulturell, initiativ oder überhaupt engagiert sich versteht. Der Raum ist hoch; am frühen und mittleren Abend führt das Stimmengewirr dazu, dass man selbst mit spitzem Timbre sein eigenes Wort nicht hört: kneipig, die Aura. Und die Küche? Ein Crossover der Welten, immer fein dekoriert die Teller, meist wohlschmeckend … aber neulich, gewiss bald wieder, wollten wir drau- ßen sitzen. Ein paar Tische stehen nämlich unter Kastanien, aber die runden unter ihnen waren alle belegt. Leute saßen an ihnen, plauderten allesamt dringlich. Man wollte nicht stören.

Aber da waren ja noch freie Tische, wenngleich, zugegeben, die zu ihnen gestellten Stühle gegen die obere Tischkante gekippt waren. Das hieß vielleicht: nicht belegbar. Aber warum nicht? Man wollte nur einen Kaffee, um zwei Arzttermine zu überbrücken, außerdem schien die Sonne so schön, niemand sollte zur Unruhe kommen. Nach zehn Minuten, immer noch war kein runder Tisch frei, fragte man drinnen: Wir hätten gerne einen Kaffee, nein, danke, essen gewiss später, aber jetzt nur einen schönen Milchkaffee.

Nach sieben Minuten kam die Bedienung, ein sichtlich auf ein gewisses Unbehelligtbleiben bedachter Mann mit lockigem Schopf – und sagte: „Nein, da bediene ich nicht.“

Pardon?

„Die Tische sind nicht vorgesehen.“

Wir gehen gleich wieder …?

„Nein, tut mir Leid.“

Aber was ist der Unterschied zu den anderen Tischen, dort sitzen doch auch Menschen?

„Ich bin Ihnen keine Erklärung schuldig, Sie bekommen an diesem Tisch nichts.“

Nein, er bräuchte, etwas verschüchtert, auch nichts schuldig bleiben, wir würden hinterher auch unter den Stühlen fegen, denn einer von uns dreht neuerdings selbst, krümelige Hinterlassenschaften fingernd, der Tabakpreise wegen selbst.

Das letzte Wort des Kellners: „Ich gehe und komme an diesen Tisch nicht wieder.“

Woraufhin eine besonders schöne Kastanie vom Baum ploppte und die Frucht frei- gab: Das mochte kein Zeichen sein, das sah einfach nur hübsch aus. Aber hatten wir tatsächlich etwas Falsches gemacht? Wir saßen in der Definitionsfalle und wussten nur einen Weg heraus. Wir gingen. Fanden uns schließlich in einer Kaffeebar beim Rathaus Neukölln wieder. Echt und ethnisch eindeutig arabisch geführt. Die Bedienung war fast überfallartig exzellent. Der Ton, der die Musik macht, klang heiter. Wir kommen auf diese neuköllnische Servicesensation zurück.

CAFÉ RIX. Karl-Marx-Straße 141, 12043 Berlin, U-Bahn Karl-Marx-Straße, Fon (0 30) 6 86 90 20; Öffnungszeiten: Täglich 10 bis 1 Uhr, Küche bis 23.30 Uhr