Eine Lektion in Melancholie

Drei Comiczeichner aus Berlin waren in Israel, drei israelische Kollegen in Berlin zu Besuch: Das Resultat dieses Austauschs ist jetzt in dem gemeinsamen Sammelband „Cargo“ und in einer begleitenden Ausstellung im Haus Schwarzenberg zu sehen

Bei den deutschen Zeichnern bleibt der Nahostkonflikt ausgeblendet

VON DANIEL BAX

Israel ist ein schönes Land. Eine Stadt wie Tel Aviv zum Beispiel vereint das Beste aus verschiedenen Welten: Mediterranes Klima und kosmopolitisches Flair, orientalische Küche und klassische Bauhaus-Architektur. An jeder Straßenecke wird man mit Hummus-Sandwichs und frisch gepressten Säften versorgt, die Kunstszene der Stadt mag zwar klein sein, aber auf einer Wellenlänge mit anderen Metropolen wie New York und Berlin. Sehr wohl gefühlt hat sich dort der Berliner Comiczeichner Tim Dinter, der zwei Monate in Tel Aviv verbracht und seine denkwürdigsten Bekanntschaften zu Papier gebracht hat.

Israel ist ein merkwürdiges Land. Gerade in Jerusalem scheinen sich die religiösen Spinner aller Konfessionen zu versammeln. So wimmelt es in der Altstadt von Pilgern und Prozessionen, während Fremdenführer und profane Souvenirverkäufer um jeden Besucher buhlen. Christen, Juden und Muslimen gilt die Stadt als heilig. Nur in einem Punkt sind sich ihre Wortführer jedoch einig, wie Jens Harder es bei seinem Aufenthalt erlebte und als Comic festhielt: Eine Christopher-Street-Parade in Jerusalem wäre schlimmer als das Jüngste Gericht.

Israel ist ein widersprüchliches Land. Während israelische Hippie-Aussteiger auf dem Sinai ungestört ihre Tüten drehen können, werden die Beduinen, die seit Generationen in der Negev-Wüste leben und dort mit Zwang sesshaft gemacht wurden, auf vielfältige Weise diskriminiert. Besonders schwierig ist die Situation für Beduinenfrauen, die unter dem doppelten Druck von Tradition und Ausgrenzung durch den israelischen Staat leiden. Der Berliner Comiczeichner Jan Feindt hat zwei Jahre in Israel gelebt und ist mit einer Israelin verheiratet. Für seine Comicreportage „Road Map“ hat er eine Freundin begleitet, die einige als „illegal“ deklarierte Beduinendörfer im Auftrag einer Menschenrechtsorganisation besuchte und die dort lebenden Frauen interviewte.

Alle drei Comiczeichner waren in diesem Frühjahr auf Einladung des Goethe-Instituts für zwei Monate in Israel. Im Gegenzug kamen drei israelische Comiczeichner nach Deutschland, die es wiederum vor allem nach Berlin zog. Die Comicreportagen, die aus diesem Austausch entstanden, sind nun unter dem Titel „Cargo“ im Avant-Verlag erschienen. Parallel zur Buchveröffentlichung sind nun in der Galerie Neurotitan im Haus Schwarzenberg einige der so entstandenen Zeichnungen, Skizzen und Seitentableaus zu sehen.

Initiiert wurde das Projekt durch den Zeichner Jens Harder, der den ersten Kontakt mit dem Goethe-Institut in Tel Aviv knüpfte. Auch die Bundeskulturstiftung beteiligte sich bald an dem Projekt. Einen Anlass bot das 40-jährige Jubiläum der Aufnahme diplomatischer Beziehungen zwischen Israel und Deutschland. Da die israelischen Comiczeichner allesamt aus Tel Aviv stammen, wäre es im Grunde allerdings richtiger, von einem Austausch zwischen Berlin und Tel Aviv zu sprechen.

Dabei bildet das Wissen um den Holocaust heute nur noch eine mögliche Folie für ihre Annäherung an Deutschland. Dennoch schwingt die Schoah natürlich stets mit im Hinterkopf der Besucher aus Israel: ganz offensichtlich bei dem 38-jährigen Yirmi Pincus, der Paul Celans „Todesfuge“ als Leitmotiv seiner Comicreise vom Schwarzwald nach Berlin gewählt hat. Etwas subtiler dagegen beim 30-jährigen Guy Morad, der in seiner Love Story „Memories“ die Odyssee eines jungen Israelis durch Berlin schildert: Hier sind es eher beiläufige Momente wie der Blick aus dem S-Bahn-Fenster auf die Schornsteine eines Kraftwerks, bei denen der Protagonist plötzlich melancholisch ins Grübeln gerät.

Eine Christopher-Street-Parade wäre schlimmer als das Jüngste Gericht

Zwei Monate sind natürlich eine zu kurze Zeit, um wirklich tief in eine andere Gesellschaft einzutauchen. So beschränken sich die meisten Comicreportagen der sechs Zeichner auf eher oberflächliche Betrachtungen des jeweils anderen Landes. Rutu Modan hat ihre Berlin-Eindrücke in eine lose Bilderfolge einfließen lassen, doch die Skizzen von einem U-Bahn-Musiker in der Linie 6, dem „Bateau Ivre“ in Kreuzberg oder Sonnenbadenden im Tiergarten sind wenig mehr als gezeichnete Postkarten-Impressionen. Und auch Jens Harders Jerusalem-Reportage „Ticket to God“ kommt in ihrer Mischung aus illustrierter Geschichtslektion und Stadtspaziergang kaum über den touristischen Blick hinaus.

Konsequent ausgeblendet bleibt der Nahostkonflikt: Er taucht allenfalls am Rande auf, wenn ein lauter Knall in Tel Aviv zunächst einen Sprengstoffanschlag vermuten lässt. Dieses Ausblenden dürfte der konsequenten Verdrängung dieser Realität im Bewusstsein vieler Israelis entsprechen. Sie war aber auch eine bewusste Entscheidung der drei Comiczeichner: „Wir wollten nicht die großen Themen wälzen“, gibt Jens Harder zu. „Es ging uns eher darum, einen unverstellten Blick auf den Alltag zu richten – auf anderes als das, was man aus den Abendnachrichten kennt.“ Außerdem hat der amerikanische Zeichner Joe Sacco mit seiner legendären Comicreportage „Palästina“ (Deutsch bei Zweitausendeins) den Konflikt schon ausgiebig thematisiert.

Zur Vernissage in Berlin konnten die israelischen Zeichner leider nicht kommen, dafür fehlte am Ende schlicht das Geld. Dafür wird die Ausstellung im Dezember auch in Tel Aviv gezeigt werden, und im Juni dann beim größten deutschen Comicfest in Erlangen präsentiert. „Ich wünsche mir, dass andere Leute diese Idee aufgreifen“, sagt Jens Harder. „Man kann das ja an jedem Ort weiterführen.“

Bis 12. 11., Mo.–Sa. 12–20 Uhr, Galerie Neurotitan im Haus Schwarzenberg, Rosenthaler Str. 29, 2. HH „Cargo“ ist im Avant Verlag, Berlin 2005, erschienen (144 Seiten, 19,95 €)