Chinesen sind empört über Dessauer Behörden

Sachsen-Anhalt Ein Polizistensohn steht im Verdacht, eine chinesische Studentin ermordet zu haben. Haben seine Eltern Einfluss auf die Ermittlungen genommen?

Trauerfeier für das Opfer: Kondolenzbuch für Yangjie Li an der Hochschule Anhalt Foto: Hendrik Schmidt/dpa

Aus Berlin Daniel Bax

Alle sind in Schwarz gekommen und haben weiße Blumen dabei. Mehrere Dutzend chinesischer Studenten und Einwanderer versammeln sich am Sonntag vor dem Brandenburger Tor in Berlin, um an die ermordete Studentin Yangjie Li zu erinnern.

„Wir wollen mehr Aufmerksamkeit für diesen Fall schaffen“, erklärt die Veranstalterin, Frau Shi, die wie die Ermordete in Sachsen-Anhalt studiert hat. „Wir sind enttäuscht, dass bisher fast nur regionale Medien darüber berichtet haben.“ Und Zhou Jian, ein Dolmetscher, der seit 1989 in Berlin lebt und mit seiner deutschen Frau ein gemeinsames Kind hat, ergänzt: „Wir lieben dieses Land und vertrauen auf den Rechtsstaat. Aber Polizei und Staatsanwaltschaft haben in diesem Fall sehr unprofessionell gearbeitet. Das ist schockierend.“

Am 11. Mai war die 25 Jahre alte chinesische Architekturstudentin nicht von ihrer üblichen Jogging-Runde durch Dessau zurückgekehrt. Zwei Tage später wurde ihre schwer entstellte Leiche in einem Gebüsch gefunden. Und keine zwei Wochen nach der Tat trat der Oberstaatsanwalt Folker Bittmann in Dessau vor die Presse und konnte einen Erfolg verkünden: Ein junges Pärchen aus Dessau – beide 20 Jahre alt – steht im dringenden Verdacht, die Chinesin ermordet zu haben. Es sitzt seitdem in Untersuchungshaft.

Doch dann beginnen die Ungereimtheiten. Es wird bekannt, dass der Verdächtige von sich aus bei der Polizei erschienen war und ausgesagt hatte, die DNA-Spuren an der Leiche des Opfers könnten von ihm stammen, weil er und seine Freundin sich mit ihr zum einvernehmlichen Sex getroffen hätten. Vor dem Gang zur Polizei hatte er mit seiner Mutter gesprochen, die einen „sehr seriösen und angesehenen Beruf“ ausübe, so der Oberstaatsanwalt.

Wie sich später herausstellt, ist die Mutter Polizistin und soll an den Ermittlungen beteiligt gewesen sein. Sie soll Kommilitonen des Opfers als Zeugen befragt haben. Der Stiefvater des Verdächtigen leitet sogar das Polizeirevier in Dessau-Roßlau.

Sachsen-Anhalts Innenminister Holger Stahlknecht (CDU) entzieht der Dessauer Polizei deshalb die Leitung der Ermittlungen, jetzt sind die Kollegen in Halle an der Saale dafür zuständig. Und nun wird bekannt, dass die Eltern ihrem Sohn kurz nach dem Mord bei seinem Umzug aus dem Haus geholfen haben, in dem der Mord geschah. Eine Polizistin bezeugt, dass Stief­vater und Mutter, einen Tag nachdem die Leiche der Studentin gefunden wurde, mehrere Tüten aus der Wohnung trugen.

Die Eltern weisen in einem Interview jeden Verdacht der Manipulation zurück, sie hätten die Wohnung nach der Tat nicht betreten. Doch da geht das Landeskriminalamt bereits dem Verdacht nach, der Stiefvater habe schon früher seine schützende Hand über den Sohn gehalten, als der mit kleineren Delikten aufgefallen war. Die beiden wurden auf andere Dienststellen versetzt, die Mutter ist seitdem krankgeschrieben.

Nach der Verhaftung des mutmaßlichen Täterpaars häufen sich die Ungereimtheiten in dem Fall

Der Vater der getöteten Studentin hat sich inzwischen einen Anwalt genommen, der Akteneinsicht beantragt hat und ihn bei einer möglichen Nebenklage vor Gericht vertreten wird. Die Ermittlungen liegen weiterhin in der Hand der Staatsanwaltschaft Dessau-Roßlau. Diese ermittelt auch wegen des Verrats von Dienstgeheimnissen: Es sollen zu viele Details aus den Ermittlungen an die Öffentlichkeit gelangt sein, noch bevor die Staatsanwaltschaft davon Kenntnis hatte.

Am Donnerstag fand in Dessau eine Trauerfeier für die getötete Studentin statt, im engsten Kreis von Familienmitgliedern, Studierenden und Mitarbeitern ihrer Hochschule. Die Eltern traten am Wochenende mit der Urne die Heimreise nach China an. Der Stadtrat von Dessau und die Kirchen hatten zu Spenden aufgerufen, um die Familie bei der Bestattung zu unterstützen. Mehr als 10.000 Euro kamen so bereits zusammen. Allein die Hälfte stammt von chinesischen Verbänden wie dem Verein der chinesischen Gastronomie in Deutschland.

In chinesischen Medien und den sozialen Netzwerken schlägt der Fall hohe Wellen. Manche fühlen sich an die Zustände in China erinnert, wo Kinder von hohen Parteikadern oft straflos ausgehen. Am kommenden Samstag sind Kundgebungen in weiteren deutschen Städten wie Köln, Frankfurt und Dresden geplant. Einen Tag später wird Kanzlerin Angela Merkel in China erwartet.Meinung und Diskussion