Optimal abwickeln

Die Belegschaft der französischen Zeitung „Libération“ fürchtet Massenentlassungen. Droht gar das Ende?

Sechs Monate nachdem Edouard de Rothschild mit 20 Millionen Euro zum Hauptaktionär von Libération geworden ist, geht bei dem linksliberalen Pariser Blatt die Angst um. Vierzig bis achtzig Arbeitsplätze könnten gestrichen und die geplanten Entwicklungsprojekte blockiert werden, befürchten die 330 Beschäftigten. In einer Petition sprechen sie sich gegen „Massenentlassungen“ aus. Hintergrund ist eine so wohlklingende wie beängstigende Ankündigung Rothschilds: „Optimierung der Organisation“. Die Direktion will sich erst im November zu den Details des Plans äußern.

Tief in der Krise

Schon jetzt steht fest, dass Libération in diesem Jahr einen Rekordverlust von mindestens sechs Millionen Euro machen wird. Die Auflage ist in den ersten sechs Monaten um knapp zehn Prozent auf jetzt noch 130.000 Exemplare gesunken. Die Werbeeinnahmen gleichzeitig um mehr als zehn Prozent. Für Branchenkenner ist das Ende nahe. Das Blatt stehe „täglich vor der Pleite“.

Frankreich steckt in der schwersten und längsten Zeitungskrise seiner Geschichte. Sinkende Auflagen, sinkende Verkaufszahlen und die Konkurrenz der beiden Gratisblätter Métro und 20 Minutes machen allen zu bezahlenden Tageszeitungen zu schaffen – auch Le Monde und Figaro. Doch die einst als linksradikales Kollektiv angetretene Libération spürt die Krise noch härter: Einerseits war ihre Auflage stets besonders niedrig. Andererseits hat Libération ein junges und stark vernetztes Publikum. „Die lesen in der Métro Gratiszeitungen und surfen im Büro auf die Gratis-Webseite von Libération“, erklärt der Pariser Medienanalyst Philippe Karsenti (www.m-r.fr). Auch politisch hat das Blatt an Glaubwürdigkeit verloren: So hielten seine Chefkommentatoren bis zuletzt an einem „Oui“ zur EU-Verfassung fest. Die linken Leser hingegen stimmten mehrheitlich dagegen. Im Hochsommer fühlten sich viele erneut vor den Kopf gestoßen. Da brachte Libération täglich mehrere Pornoseiten.

Rothschilds Einstieg war eine heftige Kontroverse vorausgegangen. Der Investor versicherte, er werde sich nicht in redaktionelle Fragen einmischen. Viele Beschäftigte fürchteten um ihre Unabhängigkeit. Am Ende sorgte die Angst um die Arbeitsplätze für mehrheitliche Zustimmung zu dem Kapitaleinstieg.

Inzwischen erklärt Rothschild es im Fernsehen für „utopisch, Redaktion und Aktionariat zu trennen“. Neuen publizistischen Projekten will er nur zustimmen, wenn vorher die Verluste sinken. Viele Beschäftigte fühlen sich verraten. „Wir brauchen einen Industriellen, keine Finanzierslogik“, sagt Libération-Redakteur François Wenz-Dumas.DOROTHEA HAHN, PARIS