piwik no script img

Ein Kinn schwebt über dem Hut

Sammlung Die Ausstellungder Collection Susanne von Meiss bei C/O Berlin zeigt, wie unter einem Thema, das hier „Allure“ heißt,eine kohärente Fotosammlung entwickelt werden kann

Der abgewandte Körper, hier bei René Groeblis Fotografie seiner Frau Rita, 1953 Foto: C/O Berlin

von Brigitte Werneburg

Es ist herrlich paradox. Alles ist da, was Mode ausmacht, ihre Verführungskraft und ihr Glanz: die herrlichen Materialien, die raffinierten Accessoires, die schönen Gesichter und Körper, die exzentrischen Gesten, die opulenten Inszenierungen, die Bildikonen der Modefotografie und ihrer Macher wie Edward Steichen, Richard Avedon, Irving Penn, August Sander und Juergen Teller − und doch muss man sich um Mode gar nicht scheren.

Von Mode handelt sie nämlich gerade nicht, die Ausstellung, die jetzt bei C/O Berlin eröffnet hat. Sie handelt, wie ihr Titel besagt, von der „Allure“.

Deshalb ist hier August Sander auch ganz richtig am Platz, mit seinen Bildern von der „Frau eines Malers (Helene Abelen)“ und der „Frau eines Architekten (Dora Lüttgen)“, die er 1926 aufnahm.

Weißes Hemd, Krawatte

Beide zeigen sie Allure, die auch Sander zeigt, indem er die beiden Frauen richtig in Szene zu setzen wusste, eine in weißer Pluderhose mit weißem Herrenhemd und Krawatte, die andere mit blondem Pagenkopf, einfach gekleidet wie eine Internatsschülerin. Kate Moss hat sie natürlich auch, die Allure, was im Foto von Juergen Teller besonders auffällt, in dem sie ähnlich brav kariert wie die Architektenfrau, nur eben 70 Jahre später, den Fußweg einer ärmlichen englischen Reihenhaussiedlung entlanggeht, und das schaut dann, entgegen dem ganzen Arrangement, überhaupt nicht harmlos aus

Allure nimmt einen gefangen, darin sah Diane Vreeland, die große Modejournalistin des 20. Jahrhunderts, die Sache charakterisiert, die sie sonst nicht weiter definieren wollte oder konnte. Allure erkennt man in der Ausstellung, braucht denn auch gar nicht den ganzen Menschen. Ein edler Rücken, ein wohlbeschuhter Fuß und ein lässig übereinandergelegtes paar Beine haben genauso Allure wie ein Kinn, über dem ein riesiger Hut schwebt. Allure ist dem Fetisch nahe, aber dann kommen doch zu viel natürliche Eleganz und Anmut der Dinge (und des Menschen) ins Spiel und eine Coolness (unter anderem des Fotografen), die verhindern, dass die Inszenierung Oberhand gewinnt.

Allure ist sichtlich ein zwangloses Vermögen. Zwei Vintage-Fotografien von Richard Avedon aus den 1950er Jahren waren die Initialzündung für die Fotosammlung der Schweizer Lifestyle-Journalistin und Unternehmerin in Sachen Interior Design, Susanne von Meiss. Aber nicht diese beiden Aufnahmen aus dem Pariser Nachtleben eröffnen den Reigen der rund 250 Fotografien, die in Berlin aus den über 400 Arbeiten ausgesucht wurden, die die Sammlung nach mehr als 25-jährigem Bestehen heute umfasst. Stattdessen setzt André Gelpkes Schwarz-Weiß-Aufnahme von „Christine mit Spiegel“ aus dem Jahr 1977 (wobei der Spiegel ihr das Gesicht raubt) den Betrachter und die Betrachterin auf die Spur von Fetischismus und Surrealismus, während Nan Goldins Farbaufnahme von „Kate Moss in the Mirror, Sir John Soane’s Museum, London“ (2001) eher für den Moment der Allure im Alltag steht.

Die Nacht, in die die nachfolgenden Fotografien die Besucher und Besucherinnen führen, gibt Gelpke recht. Die Allure maskiert sich bei Diane Arbus („Lady at a masked ball with two roses on her dress, New York City 1967“), und überhaupt schaut sie, wie der Fetisch, nicht zurück. Das abgewendete oder unter einem auffälligen Hut verborgene Gesicht und der inszenierte, geschnürte, dekolletierte Rücken sind das zentrale, vielfach variierte Motiv der Ausstellung.

Badende auf Sprungbrett

Es ist in der berühmten Rückenfigur im Korsett von Horst P. Horst vertreten wie in der nicht minder berühmten Aufnahme der zwei Badenden auf dem Sprungbrett, die beide von der Kamera weg aufs Wasser schauen. Sie stammt von George Hoyningen-Huene („Divers“ [Horst and model], swimweat by Izod, 1930) und dazu noch in einer Wiederholung aus dem Jahr 2010, in der Nicola Constantino Horst P. Horst durch ein weiteres weibliches Model ersetzt.

Genauso wie „Allure“ das Fotogeschehen des 20. bis ins 21. Jahrhundert verfolgt, spannt sie auch einen repräsentativen Bogen über alle Genres und Stile der Fotogeschichte hinweg. Modebild, Gesellschaftsporträt, Street Photography, Reportage und konzeptuelle Ansätze sind hier vereint und weltweit bekannte Bilder mit solchen, die noch oder wieder zu entdecken sind, wie etwa René Groeblis 1953 entstandene wunderbare Aufnahme seiner Frau Rita. Es ist ein Schatz, den C/O Berlin gehoben hat, mit der ersten öffentlichen Präsentation der Sammlung Susanne von Meiss.

Bis 4. September, C/O Berlin, tägl. 11–20 Uhr

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen