Japans Premier arbeitet an seinem historischen Vermächtnis
: Koizumi betet und provoziert

Junichiro Koizumis Pilgergang zum Yasukuni-Schrein ist keineswegs Ausdruck fehlender politischer Sensibilität. Der brillante Stratege und fünffache Kriegsschrein-Gänger weiß, was er hervorruft: Empörung und Unverständnis in Peking und Seoul. Die ohnehin gespannten Beziehungen zu beiden Nachbarstaaten verschlechtern sich weiter, und auch in Japans Bevölkerung erntet der betende Provokateur bloß am rechten Rand Beifall.

Warum er es dennoch tat, elf Monate vor seinem angekündigten Rücktritt? Regierungschef Koizumi will nicht nur als wirtschaftspolitischer Reformer in Erinnerung bleiben. Er versteht sich ebenso als politischer Erneuerer. Als einer, der dem einstigen Kriegsaggressor das Büßergewand abstreift und Japan zu neuem Selbstvertrauen verhilft. Koizumi befürwortet eine Verfassungsänderung, mit der die Rolle der Armee gestärkt wird. Unter Junichiro Koizumi wurden zum ersten Mal seit dem Zweiten Weltkrieg Truppen in ein Kampfgebiet, den Irak, entsandt. Der Regierungschef steht für ein Japan, das sich nicht dreinreden lässt, wie man seiner Kriegstoten gedenkt – schon gar nicht von Asiens aufstrebender Großmacht China.

Nach viereinhalb Jahren im Amt steht Koizumi auf dem Höhepunkt seiner politischen Karriere. In den Wahlen vom September erzielten die regierenden Liberaldemokraten dank der Galionsfigur mit der Löwenmähne einen Erdrutschsieg. Vergangene Woche billigte das Parlament Koizumis wichtigstes Reformprojekt, die Privatisierung des japanischen Postwesens, im zweiten Anlauf doch noch. Dafür hat der Regierungschef über zehn Jahre hartnäckig gekämpft. In Sachen Yasukuni-Schrein allerdings grenzt Koizumis Beharrlichkeit an Sturheit.

Der Regierungschef hatte beim Amtsantritt verkündet, er werde jährlich den Kriegsschrein besuchen. Daran hat er sich gehalten. Statt seine politische Stärke zu nutzen, um einen Schritt auf die Nachbarstaaten China und Südkorea zuzugehen, wird Koizumi zum Prinzipienreiter. Die Chance zu besseren nachbarschaftlichen Beziehungen hat er am Montag verspielt. Oder besser gesagt: verbetet.

MARCO KAUFFMANN