„Die Lage ist dramatisch“

SKISPRINGEN Weil den deutschen Weitenjägern junge Talente fehlen, müssen es die Alten nun wieder richten: Martin Schmitt, 31, Michael Uhrmann, 31, und Michael Neumayer, 30

VON KATHRIN ZEILMANN

Sie kennen das Geschäft schon lange. Jahr für Jahr geht es im Spätherbst nach Skandinavien, wo die Nächte länger und länger werden und die Tage kürzer. Deshalb wollte der deutsche Cheftrainer Werner Schuster die Routine unterbrechen, die seine Athleten teils schon seit mehr als zehn Jahren pflegen. In diesem Jahr ging es erst kurz vor dem Weltcupstart nach Finnland, zuvor wurde in Klingenthal im Vogtland trainiert – auf einer Spur aus Eis und einer Landefläche aus Kunstrasen. Er habe die Routine durchbrechen wollen, sagt Bundestrainer Schuster. „Bis jetzt schaut es gut aus. Aber ein Restrisiko bleibt, ob sich diese Variante bewährt.“

Schuster wirkt dieser Tage wie ein behutsamer Umgestalter, nicht wie ein innovativer Coach im Neuland. Denn der Blick auf sein Team zeigt: Junge, hoffnungsvolle Nachwuchstalente, die im Weltcup für Erfolge gut sein könnten, gibt es nicht. Schuster muss weiterhin mit den beiden 31 Jahre alten Athleten Martin Schmitt und Michael Uhrmann arbeiten, mit dem ein Jahr jüngeren Michael Neumayer und dem 28-jährigen Georg Späth. Sie bilden das Gerüst des Teams schon seit vielen Jahren. Thomas Pfüller, Generalsekretär des Deutschen Skiverbandes (DSV), übt sich deshalb in Selbstkritik: Im Nachwuchsbereich sei „die Lage fast dramatisch. Man spürt, dass wir im Nachwuchs eine ganze Reihe von Fehlern gemacht haben“, sagt Pfüller.

Immerhin werden Andreas Wank (21) und Pascal Bodmer (18) beim ersten Springen in Kuusamo den Altersschnitt im deutschen Team ein wenig senken. Schuster ist klug genug, sie nicht als potenzielle Heilsbringer zu feiern, er sagt bloß: „Wir können halt keine Weltstars aus den Ärmeln schütteln.“ Und weiter: „Ganz ehrlich: Ich gehe mit gemischten Gefühlen in die Saison.“

Schuster will ruhig und gelassen bleiben. „Wir wollen nicht in so eine Feuerwehr-Mentalität verfallen“, sagt er. Will heißen: Von blindem Aktionismus hält er nichts. Die Situation ist nun einmal so, wie sie ist. „Der Spagat ist schwierig: Einerseits sollen Spitzenleistungen her, andererseits soll langfristig aufgebaut werden.“ Schuster weiß aber auch, dass gerade im Olympiawinter genau auf die Skispringer geschaut wird: „Wir brauchen Top-10-Plätze.“ Und die will er eben mit den altbekannten Namen erreichen: mit dem von einem Kreuzbandriss genesenen Späth, mit Uhrmann, der an Rücktritt nach den Spielen in Vancouver denkt, mit Neumayer, der forsch von einer Olympia-Medaille spricht. Und mit Schmitt, der sich im Vorwinter nach langjähriger Durststrecke wieder zu den Weltbesten zählen durfte: Bei der Vierschanzentournee wurde er Vierter, in Liberec bei der WM holte er Silber auf der Großschanze. Die Vorbereitung auf diesen Winter lief allerdings nicht optimal, wie Schuster verriet. Im Juni und im Juli sei Schmitt in eine Phase gekommen, „in der er sehr schnell müde wurde und körperlich erschöpft war“. Schuster will auch kein Geheimnis daraus machen, dass Schmitts Zustand mit der Frage nach dessen Gewicht zusammenhing. Der Trainer weiß um das Dilemma – leicht muss der Athlet sein, doch körperlich nicht ausgezehrt. „Wer körperlich nicht zufrieden ist, macht technische Fehler.“ Aber Schmitt hat sich wieder gefangen, verspricht Schuster: „Die technischen Korrekturen sind frühzeitig eingeleitet worden.“

Schmitt selbst widmet sich nun ganz der Vorfreude auf die Olympischen Spiele. „Die Schanzen in Vancouver gefallen mir ganz gut“, sagt er. Er ist schon so lange im Geschäft – ihn kann nichts mehr erschüttern. Selbst nicht eine ungewöhnliche Saisonvorbereitung in Sachsen statt in Skandinavien.