Andreas Behn über Gewalt gegen Frauen in Brasilien
: Kultur der Frauenverachtung

Die Massenvergewaltigung einer 16-Jährigen in Rio de Janeiro hält Brasilien in Atem. Über 30 junge Männer haben am vergangenen Wochenende die Jugendliche offenbar vergewaltigt und Videoaufnahmen des Verbrechens ins Internet gestellt. Alle in der Politik verurteilen die abscheuliche Tat. Die kürzlich suspendierte Präsidentin Dilma Rousseff ebenso wie ihr Nachfolger, Übergangspräsident Michel Temer. Dessen Ankündigung, sofort eine Polizei-Sondereinheit einzurichten, überzeugte niemanden. War doch eine seiner ersten Amtshandlungen, das Frauenministerium abzuschaffen. Temer brachte es fertig, erstmals seit den 1980ern keine einzige Frau in sein Kabinett zu berufen. Bei allen Protestmärschen gegen das Verbrechen wurde denn auch sein Rücktritt gefordert.

Das einzig Überraschende an dem Fall ist die kollektive Tat: Massenvergewaltigungen sind in Brasilien nicht üblich. Gewalt und sexuelle Übergriffe gegen Frauen aber schon: Laut der von einer Nichtregierungsorganisation erstellten „Landkarte der Gewalt 2015“ nimmt die Gewalt gegen Frauen im Land zu, die Zahl der Morde an Frauen stieg in den letzten zehn Jahren um 21 Prozent. Im Durchschnitt werden in Brasilien 13 Frauen pro Tag ermordet. Allein im öffentlichen Gesundheitssystem bittet alle vier Minuten eine Frau um Hilfe wegen eines Übergriffs.

Üblich ist es, die Opfer für die Taten selbst verantwortlich zu machen. Auch die 16-Jährige wurde zuerst gefragt, ob sie Erfahrung mit Orgien oder Kontakt zu Drogenhändlern habe. Es dauerte vier Tage, bis dem Ermittlungsleiter der Fall endlich entzogen wurde. Das Video, das die Täter ins Internet stellten, wurde nicht nur vielfach geteilt, sondern auch mit zahlreichen hämischen und frauenfeindlichen Kommentaren versehen.

In Brasilien herrscht ein Grundklima der Frauenverachtung, das sich in einer gesellschaftlichen und richterlichen Milde gegenüber Vergewaltigern zeigt. Leider ist nur eine Minderheit über das jüngste Verbrechen wirklich empört.