Der Charme des Halbimprovisierten

Kunstgrusel Im einstigen Stummfilmkino Delphi lebt der Geist der Vergangenheit, auch während des Performing Arts Festival

Eine flache, sanft sich biegende Treppe führt ein paar Stufen aufwärts. Der elegant geschwungene, massive Messinghandlauf am Geländer strahlt eine Aura vergangenen, gediegenen Glamours aus. Kein Mensch stellt heutzutage noch dergleichen her. Das Material, von Generationen von Händen berührt, ist so glatt und zart, dass es die Handfläche gleichsam streichelt.

Dann, hinter einer Tür, scheint sich vor uns eine riesige dunkle Gruft zu öffnen. Die Ahnung von Glamour ist so schnell verflogen, wie sie gekommen war, um einem gepflegten Kunstgrusel zu weichen. Klagende Stimmen tönen aus der Tiefe. Punktuell erhellen Taschenlampenlichter die Finsternis, lassen die Ausmaße des riesigen Raumes erkennen. Nein, kein Raum; ein Saal. Ein dreifacher, markant geformter Rundbogen markiert eine Art Bühne. Und obwohl wir ja eigentlich alle wussten, was uns erwartet – schließlich hatten wir uns angemeldet zur geführten Performance „Walking with Ghosts“ im ehemaligen Stummfilmkino Delphi –, ist dieser Eintritt in den dunklen Zaubersaal eine Überraschung.

Unter der Erde hat dieser Ort die Zeiten überdauert. 1929 als letztes Stummfilmkino der Stadt eröffnet, erlebte das Kino in Weißensee nur dreißig Jahre kinematografischer Betriebsamkeit, bevor es 1959 wieder geschlossen wurde. In den folgenden Jahrzehnten dienten die Räumlichkeiten verschiedenen kunstfernen Zwecken (unter anderem als Lagerraum der DDR-Zivilverteidigung), doch da all diese Nutzungen eher provisorisch waren, blieb das Ganze baulich so, wie es war. Was für ein Glück!

Vor ein paar Jahren wurde das Haus von dem Künstlerpaar ­Nikolaus Schneider und Brina Stinehelfer übernommen und als Veranstaltungsort wiederbelebt. Jetzt finden hier Theater, Konzerte und verwandte Dinge statt. Und gerade jetzt, im Rahmen des Performing Arts Festival, eben diese geführte Performance, die den Geist oder die Geister des Hauses zu beleben versucht. Das hat so ein bisschen den Charme des Halb­improvisierten und bleibt insgesamt rätselhaft genug, um anregend zu sein, auch wenn das mitgeführte Kind später erklärt, es habe sich richtig gelangweilt.

Immerhin vergibt es für die schauspielerischen Leistungen „sechs von zehn Punkten“, die vor allem jener Dame zugutekommen (ein Programm gibt es nicht, sodass die DarstellerInnen ebenso namenlos bleiben wie die unbekannten Geister der Vergangenheit), die uns eingangs als berlinernde Barfrau eingeführt hatte in die heiligen Hallen, um anschließend im Saal wie ein hyperaktives Muppetshow-Monster mit wilder Wuschelperücke und verrutschten Fin-de-Siècle-Klamotten das Geisterhafte mit dem Burlesken zu verbinden.

Die andere Barfrau, die an der großen Saaltheke Geschichte und Geschichtchen erzählt, kommt weniger gut weg, vor allem die Gruselstorys, die richtig schlecht sind. „Kenn ich schon“, raunt mir das Kind ins Ohr (nämlich von der letzten Klassenfahrt). Dennoch ergibt das performative Geisterarrangement einen Gesamteindruck, der so nachhaltig ist, dass man unbedingt wiederkommen möchte, um den Saal ernsthaft wiederbelebt vorzufinden. Bei der Kino-Performance am Ende dreht sich eine in weiße Laken gewickelte Frau unendlich um sich selbst, derweil auf ihre Laken sowie auf die große Wand hinter ihr historische Filmbilder projiziert werden.

Auch der tiefere Sinn dieser Bildabfolge bleibt ein bisschen rätselhaft, was aber so sein darf, hinterlässt das Ganze doch einen poetischen Nachhall von der Magie des bewegten Bildes. Das ist das Großartige an diesem Ort: Er stammt eben so deutlich erkennbar aus einer Zeit, als nicht alles einfach selbstverständlich, sondern auch die Welt der Filmtechnik noch ein echtes, großes Wunder war. Katharina Granzin