piwik no script img

Die WahrheitSprudelnder Schweiß

Die wahre Reportage: Eingeladen von Jägern zu einem feinen Empfang mit Wildspezialitäten und Brunftschreien.

Illustration: Anna Zimmermann

Ich werde nie mehr etwas über Jäger schreiben. Das ist auf jeden Fall wahr.

„Save the Date“ steht groß über der Voreinladung. Absender ist der CIC, der Internationale Rat zur Erhaltung des Wildes und der Jagd. Darunter schreibt ein Dr. Wilhelm v. Trott zu Solz, „Leiter der Deutschen Delegation“: „Nach einem kurzen feuilletonistischen Impuls zum Thema laden wir Sie bei erlesenen Wildspezialitäten und feinen Getränken zu Gesprächen über Jagd und Jäger ein.“

Die Karte gilt zwar mir persönlich, ist jedoch an die Redaktion adressiert. Ich bin froh, dass sie nicht wissen, wo ich wohne. In mindestens zwei Texten habe ich, zwar gewohnt überspitzt, doch in der Sache korrekt, Jäger als blutgierige Psychopathen abgebildet. Jetzt befürchte ich eine Falle. Warum sonst sollten sie mich einladen? Sobald ich in der Höhle des Löwen bin, knallen die mich doch ab wie eine streunende Miezekatze. Sie nennen es „feuilletonistischer Impuls“, meine Leiche wird die „erlesene Wildspezialität“ und mein Blut das „feine Getränk“.

Todesschreie als Soundtrack

Oder? Wieder und wieder studiere ich das Anschreiben: „Erlesene Wildspezialitäten. Feine Getränke.“ Yummy! Vielleicht sind die Jäger ja doch ironiefähiger als ich dachte. Sie wollen mir die Hand reichen und mich großzügig beschämen. Man sollte Menschen nie vorschnell in Schubladen stecken. Auch dann nicht, wenn sich der Soundtrack ihres Lebens aus den Todesschreien der von eigener Hand gemeuchelten Tiere zusammensetzt.

Die endgültige Einladung gelangt ebenfalls über die Redaktion zu mir. „Dunkler Anzug“, steht unten rechts, umseitig dann das Programm: „Begrüßung durch Dr. Wilhelm v. Trott zu Solz – Professor Dr. h.c. Markus Lüpertz zum Thema ‚Jagd und Kultur – heute ein Widerspruch?‘ – Im Anschluss Cocktail Prolongé ‚Wild, Wald, Wiesen und Wein‘‘. Längst habe ich mich entschieden, die Einladung anzunehmen.

Schließlich ist der große Abend da. „Jäger? Kultur? Ich dachte, die machen das beruflich“, staunt Q., als ich mich im Anzug vom Kostümverleih verabschiede. „Du meinst Förster“, verbessere ich sie. „Jäger sind einfach nur reiche Leute, die aus Spaß Tiere totschießen. So wie kleine Jungen, die Hamster aus dem Fenster werfen.“ – „Und da willst du hin? Die sind doch garantiert bewaffnet!“ – „Ach was.“ Ich wische ihre Bedenken beiseite. Aber so ganz wohl ist mir nicht dabei.

Außer Sichtweite des Veranstaltungsorts schließe ich mein Fahrrad an eine Laterne. Pariser Platz Nr. 1, Haus der Commerzbank. Die beste Adresse der Stadt. Der Empfangschef zuckt nicht mit der Wimper, als er meine Einladung routiniert mit seiner Liste abgleicht und mir die Karte mit den Worten, „Waidmanns Heil, Herr Hannemann“, zurückgibt.

Drinnen greife ich dankbar nach einem von den ganz in Grün gekleideten Hostessen dargereichten Glas Champagner. Zügig trinke ich es aus. Da winkt mich jemand heran: „Herr Hannemann: Wie schön, dass Sie gekommen sind! Wir dachten schon, Sie hätten Angst vor uns!“

Er gibt mir lachend High Five. Das muss er sein: Dr. Wilhelm v. Trott zu Solz. Der Delegationsleiter. Er trägt ein Ramones-Shirt zu ausgewaschenen Cargo-Shorts. Sein rechtes Ohr ziert ein gigantischer Flesh Tunnel. Er bemerkt meinen erstaunten Blick. „Ich liebe es, Erwartungen zu brechen.“

Er deutet auf die Anzugträger: „Die kommen hier ja alle wie zu ihrer eigenen Beerdigung.“ Er lacht erneut. „Nennen Sie mich Willi. Dieses von Schrott zu Sülz ist nur für die Steuer. Je länger der Name, desto mehr kann man absetzen.“ Was für ein selbstironischer Twist, den eigenen Adelsnamen zu verballhornen und so die pseudolinken Vorurteile des Gesprächspartners offensiv zu unterlaufen.

„Ein schönes Fest“, sage ich verlegen. „Das hat sicher eine Stange Geld gekostet.“ – „Scheiß aufs Geld!“ Er wechselt unvermittelt zum Du. „Wenn du Geld nicht benutzt, um die Welt zu verbessern, ist es wertlos.“

Unter schulterlangen Zotteln mustert mich ein Paar leuchtend blauer Augen aus einem braungebrannten Gesicht. Augen, die zugleich jungenhafte Neugier ausstrahlen, und doch schon eine Menge gesehen haben. In Eritrea, wo er Brunnen grub; im Kongo, wo er verwaisten Berggorillababys das Fläschchen gab; im Libanon, wo er zwischen drusischen Freischärlern und der prosyrischen Al-Faraday-Miliz vermittelte.

„Aber lass uns mal eine buffen, Uli.“ Er unterbricht seinen Erzählfluss und führt mich ins Untergeschoss. Vor den Toiletten hauen wir eine Riesentüte weg. Den Brunftschreien nach zu urteilen, wird in sämtlichen Klokabinen heftig kopuliert. Was für eine Party!

Zurück im Saal hat der Vortrag von Professor Dr. Lüpertz bereits angefangen. Ich traue meinen Ohren kaum: „… hat uns Herr Hannemann in der taz so wunderbar den Schelmenspiegel vorgehalten. Oftmals zeigt sich der Narr klüger als der König. Da blitzt hinter scheinbarem Unsinn so manche Wahrheit über die Rolle des Jägers in der Gesellschaft hervor. Und diese Rolle endlich zeitgemäßer zu gestalten, um so das Bild, das die Gesellschaft von uns hat, aber auch das wir selber von uns haben, neu zu justieren, stünde uns wohl an. Für diesen schmerzhaften Denkanstoß wollen wir unserem Ehrengast hiermit herzlich danken!“

Gasse für den Ehrengast

Ich bade im wärmenden Beifall der Umstehenden. „Ehrengast“ – wie gut das tut! „Bravo“ rufend bilden die Jäger eine Gasse, durch die ich hindurch schreite bis zur Terrasse. Ich möchte kurz alleine sein, mich sammeln, aber auch den unerwarteten Triumph genießen.

Draußen fällt mir um ein Haar das Champagnerglas aus der Hand. Man hat den Garten mit immensem Aufwand zu einer Art Themenpark für Jäger gestaltet. Mitten in der Stadt erstreckt sich eine Feld-, Wald- und Wiesenlandschaft täuschend echt bis zum Horizont – die Grenzen zwischen Landschaftsbau und CGI-Animation verwischen. Aus einer „Hochsitzkanzel“ am „Waldrand“ sehe ich nun ein weißes Rauchwölkchen aufsteigen. Den Schuss höre ich erst einen Sekundenbruchteil später.

Der Moment, da man getroffen wird, ist nichts als namenloses Entsetzen. Glaubt nicht dieses von morphinistischen Endzeitpfaffen verbreitete Esomärchen vom Film eures Lebens, der sich vor eurem inneren Auge abspult. Es gibt auch keine Tunnel, an deren Ende Einhörner, Licht und Gesang auf euch warten. Sterben ist kein Kinonachmittag für verwöhnte Vorstadtkinder. Glaubt nicht, dass es nicht wehtut und dass ihr keine Angst empfinden werdet: Habt ihr euch denn ein einziges Mal gefragt, warum die Überlebenden solch sentimentalen Quark erzählen, die Toten aber vorziehen zu schweigen?

Schmerzen und Schweigen

Weil es wehtut. Von der Wucht des Geschosses bin ich augenblicklich zu Boden gegangen. Lungendurchschuss. Nun liege ich wie aufgebahrt in einer Ackerfurche. Von Trott zu Solz steht mit gezogenem Hirschfänger breitbeinig über mir. Woher kommt der so schnell? Noch nie habe ich so viel Verachtung in einem Gesicht gesehen. Ich starre ihn mit glasigen Augen an. Trotz meiner Schmerzen will ich nicht sterben.

Schweigend haben sich alle um mich herum versammelt. Ich möchte etwas sagen. Dass sie mich leben lassen sollen. Bitte. Das war doch nur eine harmlose Satire. Und einen letzten Gruß an Q. Aber statt Worten sprudelt bloß hellrotes Blut aus meinem Mund. „Schweiß“, nennen sie das in der Jägersprache.

Ich werde nie mehr etwas über Jäger schreiben. Das ist auf jeden Fall wahr. Die Erde unter mir ist feucht. Am Himmel kreisen Bussarde und Raben. Halali.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen