Kolumne „Deutschland, was geht?“: Ein Smartphone kann Leben retten
Mein Handy ist langsam, das ärgert mich, ist aber nicht weiter wichtig. Für Geflüchtete schon – das Telefon ist ihr bester Fluchthelfer.
I ch starre auf den kleinen Display in meiner Hand, den ich halbherzig mit einer Glashülle darüber zu schützen versuche. An den Ecken meines Smartphones sind etliche Schrammen und Dellen zu sehen. Manchmal renne ich zur Bahn, die alle paar Minuten fährt, auf die Gefahr hin, dass ich, wie in der Vergangenheit geschehen, stürze und es in meiner Hand zerschellt.
Die Website lädt nur langsam und mit jeder Sekunde, die verstreicht, lädt sich auch mein Frust auf: mein Datenvolumen ist aufgebraucht. Dabei ist das, was ich durch mein Smartphone in Erfahrung bringen will, selten wirklich wichtig. Statt Google Maps zu benutzen, kann ich nach dem Weg fragen, statt Onlinemagazinen ein Buch lesen.
Für Geflüchtete hingegen ist das Smartphone im wahrsten Sinne überlebenswichtig. Ich denke an Hala, eine syrische Frau und Mutter von vier Kindern, die von einem britischen Kamerateam in Istanbul interviewt wird.
Sie erzählt von ihrem Mann, der vom IS verschleppt worden ist und von dem nun jede Spur fehlt. Früher in Aleppo tranken sie jeden Morgen gemeinsam Kaffee, bevor ihr Mann Ali zur Arbeit ging. Vergaß er das, rief Hala ihn an und sagte ihm, dass er zurück müsse. Der Kaffee am Morgen war ihnen heilig. Jetzt rührt Hala allein in ihrer kleinen Tasse mit arabischem Mokka, daneben stellt sie eine zweite Tasse für Ali, der nicht da ist und dessen Kaffee sie deshalb jeden Morgen für ihn mit trinkt.
„Alles, was ich habe“
Während sie spricht, blickt sie immer wieder auf ihr Smartphone, das vor ihr liegt. Sie hält es in die Kamera und sagt: „Alles, was ich habe, steckt hier drin. All meine Verwandten. Ich halte es fest, als hielte ich meine Adresse in der Hand. Dieses Metallgehäuse ist meine Welt geworden. Verstehst du jetzt, warum es so viel wert ist?“.
Als meine Eltern Anfang der Neunziger aus dem Libanon nach Deutschland flüchteten, gab es keine Smartphones. Sie riefen meinen Onkel an, der in Berlin auf sie wartete und teilten ihm mit, wann sie ankommen würden. Er konnte sie nicht finden. Niemand wusste, was geschehen war, nur, dass etwas schief gelaufen sein musste. Und das war es.
Meine Eltern liefen nachts durch dunkle Wälder, meine hochschwangere Mutter fiel in ein Erdloch, aus dem sie ohne die Hilfe meines Vaters und anderer Männer nicht mehr herauskam. Osteuropäische Grenzpolizisten schlugen sie. An der deutschen Grenze angekommen, wurden sie bereits von der Bundespolizei erwartet. Die Wehen setzten ein. Meine Mutter, damals Anfang zwanzig, ging zur Geburt ihres ersten Kindes allein in ein Krankenhaus, ohne auch nur ein Wort Deutsch zu sprechen. Mein Vater kam in polizeilichen Gewahrsam.
Jetzt lese ich, dass an der slowakisch-ukrainischen Grenze mit scharfer Munition auf Geflüchtete geschossen wurde, eine Frau musste notoperiert werden.
So absurd es klingen mag: ein Smartphone kann Leben retten. Sei es nur durch eine hastig getippte SMS, in der vor Söldnern gewarnt wird, die die Menschenrechte innerhalb der mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichneten EU ins Fadenkreuz nehmen.
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