Aufgescheucht und weggebracht

Vertreibung Mehr als 8.000 Flüchtlinge haben monatelang in Idomeni ausgeharrt. Jetzt wird das Camp geräumt. Viele Migranten verstecken sich aus Angst, denn keiner weiß, was als nächstes kommt

Keiner soll entkommen: 400 Polizisten sind bei der Räumung des Camps im Einsatz Foto: Yannis Kolesidis/dpa

von Theodora Mavropoulos

Schwer gerüstete Einsatzkommandos der griechischen Polizei streifen durch das Camp in Idomeni, kurz vor der mazedonischen Grenze, in dem seit Monaten Tausende Flüchtlinge ausharren. Hubschrauber kreisten in den frühen Morgenstunden über der Zeltstadt, in der zuletzt rund 8.400 Menschen hausten.

„Von den Hubschraubern bin ich aufgewacht“, berichtet die freiwillige Helferin Florentine Kwast. „Als ich aus dem Zelt stieg, sah ich Polizisten, die eine Kette bildeten“, so Kwast. Die Anfang 20-Jährige aus Berlin hilft seit zwei Monaten hier aus und übernachtete in einem der Zelte im Camp. Sie steht in engem Kontakt zu den Flüchtlingen.

Die Gerüchte, dass das Camp geräumt werden sollte, kursierten schon lange, berichtet sie. „Aber dass das so drastisch über die Bühne geht, hätte keiner von uns erwartet“, sagt sie leise. Nein, die Polizei habe keine Gewalt angewendet. Dennoch wurde den freiwilligen HelferInnen ein Ultimatum gestellt, innerhalb von 10 Minuten ihre Sachen aus den Zelten zu holen und das Gelände zu verlassen.

Gut 20 Einheiten der Bereitschaftspolizei – knapp 400 Beamte – sind bei der Evakuierung des Camps im Einsatz. Der griechische Fernsehsender Alpha zeigte mehrere Gruppen von Migranten, die in den umliegenden Feldern verschwanden. Auf der anderen Seite standen etwa 20 Busse, die Flüchtlinge in staatliche Lager brachte. Die meisten von ihnen sollen aus Syrien stammen. Zu Gewalt kam es bisher nicht. Die Menschen ließen sich widerstandslos abtransportieren. „Die Situation fühlte sich trotzdem sehr bedrohlich an“, sagt Kwast. Viele der Flüchtlinge hätten geweint.

Auch Didac Quillamet, ein weiterer freiwilliger Helfer, berichtet von Verzweiflung bei den Menschen. Er konnte sich trotz des Verbots der Polizei ins Camp einschleusen und die Lage beobachten. „Die meisten der Flüchtlinge, die jetzt in offizielle Camps gebracht werden sollen, haben keine Ahnung, was sie dort erwartet“, so Quillamet.

Die Situation fühlte sich bedrohlich an. Viele Flüchtlinge haben geweint

Florentine Kwast, Helferin

Zwar hatte die Regierung angekündigt, die Menschen in Idomeni zu informieren. Doch Quillamet lacht auf. Nein, kaum einer von ihnen wisse, was mit ihm geschehe. Aus Angst hätten sich viele im Umland versteckt, einige versuchten nun, doch mit Schleusern über die mazedonische Grenze zu gelangen. „Viele haben es schon bis zu sechs Mal versucht“, sagt der Ende 30-Jährige. „Die meisten von ihnen kamen mit starken Blutergüssen und Prellungen zurück – sie wurden von der mazedonischen Grenzpolizei oder dem Militär zur Abschreckung zusammengeschlagen.“ Versuchen würden sie es trotzdem wieder, sagt Quillamet.

Auch Ärzte ohne Grenzen (MSF) sind die Verletzungen bekannt. Die Organisation ist seit Monaten mit über hundert MitarbeiterInnen vor Ort. „Seit dem Start der Evakuierung des Lagers darf nur noch das medizinische Notversorgungsteam – acht unserer Mitarbeiter – ins Flüchtlingslager“, sagt Katy Athersuch, Sprecherin von MSF in Idomeni. „Es ist unglaublich, dass die EU immer noch auf temporäre Unterbringungsmöglichkeiten ausweicht, anstatt die Menschen endlich in ein sicheres Drittland zu bringen“, sagt sie.

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