Mittelmeerroute mäßig befahren

Flucht Auch nach der Rettung von rund 2.600 Migranten aus Libyen liegen die Flüchtlingszahlen in Italien unter denen von 2015

ROM taz | Sie waren mit 14 Schlauchbooten und einem Holzkahn in See gestochen. Am Montag waren die rund 2.600 Flüchtlinge und Migranten von Schiffen der italienischen und der irischen Marine sowie der Hilfsorganisation Ärzte ohne Grenzen im Mittelmeer zwischen Libyen und Italien gerettet worden.

Doch auch wenn sich in den letzten Wochen Nachrichten von solchen Rettungsaktionen in großem Stil häuften, war im Jahr 2016 auch nach Schließung der Balkanroute im März bisher keine Zunahme von Überfahrten auf der Route Libyen–Italien zu verzeichnen. Während die Zahlen im laufenden Jahr, die am Montag Geretteten einbezogen, noch unter 40.000 liegen, trafen im Vergleichszeitraum des letzten Jahres 48.000 Menschen ein.

Bisher hat sich damit die Prognose nicht bestätigt, die Flüchtlingsströme würden sich vom Ost- zum zentralen Mittelmeer verlagern. Dies zeigt sich auch an den Herkunftsnationen derer, die nach Italien kommen: Vorn liegen Senegal, Nigeria, Gambia und es folgen weitere Länder, vor allem des subsaharischen Afrika, während Syrer, Afghanen und Iraker kaum vertreten sind.

Noch im Jahr 2014 hatten Syrer und Eritreer dagegen gut die Hälfte der damals in Italien eingetroffenen 170.000 Flüchtlinge ausgemacht; im Jahr 2015 jedoch kamen, bei leicht sinkenden Flüchtlingszahlen, kaum noch Syrer, von den Eritreern waren es immerhin noch etwa 40.000. Ein Jahr später nun sank auch der Anteil der Eritreer gegen null.

Unklar sind die Zukunftsszenarien. Die Internationale Organisation für Migration schätzt, dass in Libyen etwa 700.000 bis eine Million Menschen zur Überfahrt nach Italien bereit sind, viele von ihnen Schwarzafrikaner, die ursprünglich als Arbeiter auf dem Bau oder in der Landwirtschaft nach Libyen gegangen sind. Und Ita­liens ­Innenministerium warnte noch vor wenigen Wochen, 2016 könnten etwa 300.000 Flüchtlinge und Migranten in Italien eintreffen, womit sich deren Zahl gegenüber dem Vorjahr verdoppeln würde.

Auch ohne eine solche Steigerung gehört Italien zu den Hauptankunftsländern, bisher aber nicht zu den Hauptaufnahmestaaten Europas. 2014 zum Beispiel stellten nur 64.000 Menschen in Italien einen Asylantrag, 2015 dann 83.000, und in staatlichen Einrichtungen sind gegenwärtig etwa 110.000 Antragsteller beherbergt.

Auch deshalb spielen Flucht und Migration in Italien eine weit geringere Rolle im politischen Diskurs als in Deutschland, Österreich oder Schweden. Dies könnte sich allerdings dann ändern, wenn Österreich mit der Drohung Ernst macht, seine Grenze auch zu Italien abzuriegeln. Michael Braun