Parlament stoppt Wahl

IRAK Streit um die für Sunniten reservierten Sitze gefährdet die Abstimmung – und damit den Zeitplan für den US-Truppenabzug

Das Gezerre hat die religiösen und ethnischen Gräben erneut aufgerissen

AUS BAGDAD INGA ROGG

Die Frustration unter den Mitarbeitern der Unabhängigen Irakischen Wahlkommission ist groß. Seit Monaten füttern sie ihre Computer mit Daten, überprüfen, so gut es geht, Namen und legen Wahlregister an. Und jetzt das. Im Handstreich hat das irakische Parlament eine zentrale Bestimmung des bisherigen Wahlgesetzes gekippt, so dass mehr oder weniger alles von vorne losgeht. Damit sei es nicht mehr möglich, im Januar Wahlen abzuhalten, sagte Faraj al-Haideri, Chef der Wahlkommission. „Es ist vorbei.“

Die Wahlen gelten als wichtiger Meilenstein für die Demokratisierung des Irak. Aus ihnen wird die erste Regierung hervorgehen, die nach dem Sturz volle Souveränität genießt. Sie kann auf Jahre hinaus die künftigen Entwicklungen bestimmen. Dabei haben die Sunniten aus ihrem Fehler vor vier Jahren gelernt, als sie die Wahlen boykottierten. Diesmal hoffen sie auf eine starke politische Vertretung, entsprechend heiß umkämpft ist die künftige Sitzverteilung. Dabei offenbart der Streit um das Wahlgesetz, dass es mit der wortreich beschworenen „nationalen Einheit“ zwischen Schiiten, Sunniten und Kurden nicht weit her ist.

Im Bestreben, den Sunniten mehr Gewicht zu geben, forderte Vizepräsident Tarik al-Hashemi, selbst ein Sunnit, eine Verdreifachung der für Flüchtlinge reservierten Sitze. Statt auf Hashemis Veto einzugehen, hat die schiitische und kurdische Mehrheit im Parlament den entsprechenden Passus einfach gestrichen und gleichzeitig festgelegt, dass statt der aktuellen die alten Wahlregister von 2005 verwendet werden. Damit fühlten sich die Sunniten gleich doppelt betrogen, hätte ihnen die Neuregelegung doch ein erheblichen Zuwachs an Mandaten beschert. Dagegen liefen jedoch die Kurden Sturm, weil sie weitgehend leer ausgegangen wären.

Alles dreht sich dabei um die Frage, wie viele Schiiten, Sunniten und Kurden es tatsächlich gibt. Ohne eine Volkszählung werde es nie eine gerechte Lösung bei der Verteilung der Mandate geben, sagt Saad Alrawi von der Wahlkommission. Als Grundlage dienen nur die Lebensmittelkarten. Für seine Mitarbeiter bedeutet der Parlamentsentscheid, dass sie ihre mühsam aktualisierten Wählerlisten erneut prüfen müssen.

Bislang haben nur der Präsident und sein schiitischer Vize dem neuen Gesetz zugestimmt. Aber selbst wenn Hashemi diesmal kein Veto einlegt, ist es für die Wahlen im Januar zu spät. Der Wahltermin muss mindestens 60 Tage im Voraus feststehen, und die letzten Tage im Januar kommen wegen eines hohen schiitischen Feiertags nicht infrage. Hinter den Kulissen wird über eine Verschiebung um einen Monat spekuliert.

Das Gezerre hat die religiösen und ethnischen Gräben erneut aufgerissen. Einseitig machen schiitische Politiker aus dem Umfeld von Regierungschef Nuri al-Maliki Hashemi für die Verzögerungen im politischen Fahrplan verantwortlich. Darüber hinaus bezichtigen sie ihn, er buhle mit seinen Einwänden bloß um die Stimmen der Baathisten. Hashemi wolle so den Weg für die Rückkehr der Clique um den ehemaligen Diktator Saddam Hussein ebnen. Im Irak wird so etwas als Stimmungsmache gegen die Sunniten generell verstanden und bekräftigt sie in ihrem Misstrauen gegen die Schiiten.

Für die Abzugspläne von US-Präsident Barack Obama ist das kein gutes Omen. Spätestens im Frühjahr muss der Rückzug von mehreren zehntausend Soldaten beginnen, soll das Ziel, die Truppenstärke bis zum Sommer zu halbieren, erreicht werden. Dass bis dahin eine neue Regierung im Amt ist, glauben selbst die größten Optimisten unter Iraks Politikern nicht.