Außer Gefecht

FECHTEN Nur vier deutsche Einzelkämpfer dürfen bei den Olympischen Spielen in Rio mitmachen. Eine Misere, die durch Selbstzufriedenheit, kleinkariertes Denken und Egoismen über Jahre entstanden ist

Eine Ausnahmeerscheinung: der erfolgreiche deutsche Fechter Max Hartung (r.) beim WM-Halbfinalkamf vergangenes Jahr gegen den Russen Alexei Yakimenko Foto: imago

von Alina Schwermer

„Es ist wie bei einem Körper“, sagt Didier Ollagnon, Bundestrainer der deutschen Degen-Herren. Die deutsche Fechtszene, das ist der Körper. „Die Organe im Körper müssen zusammenarbeiten. Wenn die Beziehungen der Organe nicht stimmen, gibt es massive Probleme.“ Die Organe, das sind die Verbände, die Trainer und Klubs. Seit Jahren stecken die deutschen Fechter, einst Welt­spitze, in der Krise. Zu den Olympischen Spielen in Rio werden sie keine einzige Mannschaft schicken, nicht im Säbel, nicht im Degen, nicht im Florett. Nur vier Einzelkämpfer haben sich qualifiziert.

Es ist nicht schwer, kritische Stimmen zur Situation im deutschen Fechten aufzuspüren. Aber nicht alle wollen sich zitieren lassen, speziell jetzt, kurz vor Olympia. Wer Kritik offen äußere, kriege vom Verband einen drauf, heißt es. Bundestrainer Ollagnon ist einer der wenigen, die sich äußern. Die Strukturen für erfolgreiche Arbeit seien da, sagt Ollagnon. Man mache es sich nur unnötig kompliziert. „Jeder kocht sein eigenes Süppchen.“

Denn im Gegensatz zu vielen Fechtnationen, bei denen die Talentförderung zentralisiert ist, ist das deutsche Fechten föderalistisch strukturiert. „Die Landesverbände wollen ihre Sportler behalten“, sagt Ollagnon. „Ich habe es als Bundestrainer unglaublich schwer, an Sportler heranzukommen. Dadurch gibt es kaum Gruppendynamik. Und es ist schwer, etwas dagegen zu sagen, weil die Landesverbände den Präsidenten wählen. Der Präsident muss Kompromisse machen.“ Auch beim Deutschen Fechterbund DFeB sieht man das Problem. Sportdirektor Sven Ressel sagt: „Das System in Deutschland ist international nicht konkurrenzfähig.“ Eine Lösung aber hat der DFeB nicht: „Ein zentralistisches System ist in Deutschland nicht machbar.“ Man versuche, bei den Landesverbänden Überzeugungsarbeit zu leisten. Die grundsätzliche Struktur aber könne man nicht ändern.

Beim DFeB redet man sich aber auch die Situation schön. „Wir haben keine Krise“, sagt Ressel. Zwei Medaillen seien das Ziel. Diese Vorgabe werde regelmäßig erreicht. Doch im Verband herrscht Unruhe. Anfang des Jahres trat Präsident Lothar Blase zurück, weil er keine Perspektive sah. Wenige Monate zuvor hatte sich schon Vizepräsident Luitwin Ress von seinem Amt zurückgezogen. Derzeit ist Dieter Lammer Interimspräsident, der, so sagen Kritiker, möglichst konfliktfrei „vor sich hin laviere“. Doch ohne Medaillen und die damit verbundenen Fördergelder werden die Chancen auf einen Neuaufbau weiter schrumpfen.

„Ich habe es unglaublich schwer, an Sportler ­heranzukommen“

Bundestrainer Didier Ollagnon

Das ist vor allem deshalb ernüchternd, weil Deutschland über Jahre zu den führenden Fechtnationen gehörte. Am Stützpunkt Tauberbischofsheim baute Fechtpatron Emil Beck einst eine Medaillenschmiede auf, die die Deutschen in die Weltspitze trug. „Tauberbischofsheim war eine erfolgreiche Insel mit großer Dynamik“, sagt Säbelfechter Max Hartung. Er ist einer der vier, die es nach Rio geschafft haben, einer der wenigen verbliebenen deutschen Fechter von Weltformat. „Aber so was geht naturgemäß irgendwann zu Ende.“ Als Beck starb und Tauberbischofsheim immer mehr an Bedeutung verlor, stand der DFeB planlos da. Man hatte es verpasst, in den guten Zeiten in die Zukunft zu investieren. „Wenn man Erfolg hat, denkt man, es wird ewig so weitergehen“, sagt Ollagnon. „Der Verband musste die ganze Zeit über nicht viel tun“, sagt Hartung. „Und nachher hat man es nicht geschafft, sich breiter aufzustellen.“ Heute fehlt es sowohl an talentiertem Nachwuchs als auch an guten Trainern. Und an einem Plan.

Zahlreiche Traineroffensiven hat der DFeB in den letzten Jahren ausgerufen. Denn weil es an deutschem Personal mangelt, müssen die Trainer für teures Geld aus dem Ausland eingekauft werden, um zumindest den Status quo halten zu können. Daneben hofft man auf Ausnahmetalente wie Max Hartung. Der hat es in Deutschland wesentlich schwerer als seine ausländischen Konkurrenten. Sein Studium absolvierte er am Bodensee, sein Trainingsstützpunkt ist in Dormagen, fast 600 Kilometer entfernt. „Ich musste ganz schön strampeln, um Job und Karriere zu verbinden“, so Hartung. Sportförderplätze gibt es nur wenige. Eine Lösung? Bislang nicht in Sicht.

„Wir haben unglaublich viele Ressourcen“, sagt Ollagnon. „Aber durch Regionaldenken und Egos verlieren wir Geld und Energie.“ Der DFeB stapelt vorsorglich tief. Mehr als die anvisierten zwei Medaillen, sagt Ressel, seien auch auf längere Sicht nicht drin.