Berliner Szenen: Nach der Ampel
Langer Bremsweg
Die Sonne scheint, ich flitze auf meinem Fahrrad in Richtung Potsdamer Platz. Zwischen den Hochhäusern sind wenige Leute unterwegs. Super, um mein Tempo zu halten. Auf einmal springt ein Polizist auf den Fahrradweg. Wild wedelt er mit den Armen. Ich bremse scharf. „Die Ampel war rot, als sie drübergefahren sind.“ So in etwa begrüßt mich der Beamte. Unerklärlich, wo diese Ampel auf einmal hergesprungen kam.
Sein Blick wandert auf meine Hosen mit Aufnäher und mein abgeschnittenes T-Shirt. Und weiter auf mein Fahrrad. „Da ham Se aba ganz schön lange bremsen müssen.“ Er läuft um meine 80er-Jahre-Hercules-Kiste. „Weil ich so schnell war! Meine Bremsen gehen, gucken Se.“ Licht, Klingel, Bremsen, alles, was die StVO und sein Herz begehren.
Auf dem Bürgersteig fertigt ein zweiter Beamte eine Frau ab. Sie ist elegant gekleidet, ihr Fahrrad kostete wohl so meine Monatsmiete. Ein Ausweisdokument möchte der Polizist von mir. Ich zücke den Führerschein. „Das gibt’ne Anzeige!“, erklärt er mir. Wegen der roten Ampel. „Kann es sein, dass Sie ganz schön hohe Ausgaben am 1. Mai hatten und das wieder reinbekommen wollen?“, frage ich ihn. Wortlos lässt mich der Beamte stehen und geht mit meinem Führerschein in Richtung Polizeiauto.
„Lassen Sie die junge Frau doch weiterfahren“, sagt die Frau mit dem teuren Rad zu ihm. Ich frage sie nach ihrem Vergehen. Dieselbe Ampel-Delinquenz. Der zweite Polizist drückt ihr einen Zettel in die Hand. 15 Euro soll sie zahlen.
Auf meinem Zettel sind es 70 Euro und ein Punkt in Flensburg. Mein erster, beim Fahrradfahren eingesammelt. Ich radele weiter in Richtung Wedding. Die Sonne lässt mein Fahrrad lilabraun schimmern. Nicht ganz so grün ist dann die zweite Ampel, als ich sie überquere.
Marion Bergermann
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