heute in Bremen: „Bewusste Ausbrüche“
VORTRAG Liza Mazzi spricht über italienische Einwandererinnen, die „Donne Mobili“
lebt seit 1969 in Deutschland. An der Universität des Saarlands lehrte sie Sprachwissenschaften.
taz: Frau Mazzi, migrieren Frauen anders als Männer?
Liza Mazzi: Frauen haben normalerweise eine andere Lebensplanung als Männer, es kann für sie schwieriger sein, den Verlust von Heimat und Familie zu kompensieren, etwa durch eine Heirat in der Fremde. Klar ist in jedem Fall, dass weibliche Migration gesellschaftlich weniger wahrgenommen wird: Migrant ist Mann.
Sie haben die Einwanderung von Italienerinnen nach Deutschland seit 1890 erforscht. Wie viele Frauen kamen denn allein hierher?
Deutlich weniger als Männer. Aber 1973 beispielsweise waren es den Statistiken zu Folge genau 103.328 Italienerinnen. Für die war es übrigens schwieriger als etwa für Spanierinnen, ihre Arbeitsemigration zu Hause moralisch zu rechtfertigen.
Gehorchten die Frauen der puren sozialen Not oder waren das auch gewollte emanzipative Akte?
Es kamen nicht die Ärmsten, sondern Frauen, die das Leben in der Fremde auch aushalten konnten. Bereits 1911 kam eine Studie zu dem Ergebnis, dass viele der Migrantinnen ihre Auswanderung als bewussten Ausbruch aus ihren Lebensverhältnissen begriffen.
Die Palette der hier ausgeübten Berufe reicht von Stummfilm-Star über Sprachlehrerin und Eisdielen-Gründerin bis zur Frau auf dem Bau. Die allermeisten werden jedoch in Fabriken gearbeitet haben, oder?
Ja, die flinken Finger der Italienerinnen waren unter anderem in der Elektroindustrie sehr gefragt. Beliebt waren die Arbeiterinnen auch, weil sie nur 60 bis 70 Prozent des Lohns ihrer Kollegen bekamen. Derartige Lohnlücken gab es in Frankreich und in der Schweiz übrigens nicht.
Sie haben die Einwanderungs-Bewegungen über viele Jahrzehnte hinweg analysiert. Was haben Sie dabei noch herausbekommen?
Dass die Nachkommen der ItalienerInnen wesentlich weniger Erfolg haben als etwa die Türken, Iraner oder Griechen der dritten und vierten Generation.
Woran liegt das?
Während die Kinder etwa der Türken tatsächlich in Deutschland aufwuchsen, pendelten die italienischen Familien oft über lange Zeiträume hin und her, was den Schulerfolg der Kinder stark beeinträchtigte.
Die geographische Nähe zur Heimat wurde zum Nachteil?
In der Tat. Hinzu kommt, dass die Italiener anfangs hauptsächlich in Bayern und Baden-Württemberg lebten. In Ländern also, deren Schulen sehr selektierend waren.
Interview: Henning Bleyl
19 Uhr, Villa Ichon
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