Menschen schließen einander aus ihren Leben aus, ganz egal, woher sie kommen
: Geteiltes Leid verpflichtet nicht

Foto: privat

Vogelfluglinie

von Rebecca Clare Sanger

Gestern habe ich Rabeis Frau in Vordingborg gesehen. Ich habe sie von den Fotos wiedererkannt, die mir Rabei meist nach den vielen und hoffnungslosen, den immer gleichen und traurigen Gesprächen zeigte: „Wir hätten damals sogar die Möglichkeit gehabt, für sie einen syrischen Pass zu beantragen, aber sie fand, wir sollten für das Geld lieber Urlaub machen.“

Ein teurer Urlaub, denn als Rabei sie familienzusammenführen wollte, kam und kam der Bescheid nicht.

Lag das etwa am palästinensischen Pass? Wir gingen zur Presse, zu Anwälten und gedanklich im Kreis. Das letzte Bild, welches ich von seiner Ehefrau sah, war das, in dem sie sich zu Fuß von Al Tal in die rund 15 Kilometer entfernte syrische Hauptstadt Damaskus aufgemacht hatte. Sie sah müde aus auf diesem Selfie.

Als Rabei zum ersten Mai gegen den Willen der Gemeinde eine Drei-Zimmer-Wohnung in Vordingborg anmietete, riet ich ihm davon ab. Er hatte noch keinen Bescheid erhalten.

Ich hielt die Idee von der gleichen Verzweiflung geprägt, wie die, in den Sudan auszuwandern. Nach dem Umzug in den Sudan versuchte ich noch ein paar Mal ihn zu erreichen, aber ich kannte seine neue Adresse nicht.

Und nun sah ich also die Frau, die Urlaube liebte und auf der müden Wanderung nach Damaskus ins Weinen ausgebrochen war, als der zweijährige Sohn den Wohnungstürschlüssel unauffindbar irgendwo in die Gegend geschmissen hatte. „Warum bist du traurig?“ hatte Rabei daraufhin angeblich zu seiner Frau gesagt, „wir haben doch sowieso kein Zuhause mehr.“

Sie schob ihren Sohn im Buggy über die Kreuzung, sie hatte ihm einen Irokesen verpasst, sie ist ja auch Frisörin. Sie sah elegant und gefasst und schlank aus, vielleicht innerlich ein wenig gestählt, da eine für sie wildfremde Frau sie so eingehend musterte.

Ich fragte sie nicht, ob sie es sei, ich fragte später Rabeis Klassenkamerad und in meinem Kopf hörte es kaum auf zu wirbeln und zu wirbeln. Wie konnte Rabei mich so plötzlich aus seinem Leben ausschließen, mich an ihrer Ankunft nicht teilhaben lassen, nichts mehr von sich hören lassen. Warum.

„Araber“, sagte ich mir heute morgen beim Aufwachen, „vertraue nie einem Araber.“ Aber dann fiel mir ein, dass Rabei nun endlich auch seit ein paar Wochen im Kreis seiner Familie aufgewacht sein musste, und mir fiel auf, dass man gar nicht ein arabischer Freund von mir sein muss, um sich monatelang bei mir nicht zu melden, das kriegten die besten meiner Freunde ebenfalls problemlos und vor allem dann auch anhaltend hin.

Und mir fielen meinerseits alle meine Freunde ein, die in Form von mentalen to-phone-Listen schon monatelang auf der Strecke geblieben waren.

Warum sollte geteiltes Leid auf irgendeine Weise verpflichten. Und wenn ich versuche zu begreifen, dass Rabeis Welt ganz anders aussieht als meine. Und wenn ich ein paar Wochen und Monate einrechne, in meinen Versuch zu verstehen, was passiert ist, und wie ich mich fühle und wie ich mich verhalten soll und will.

So werde ich wahrscheinlich wieder eine immer noch zarte, aber hoffentlich weniger anfällige Ahnung davon haben, wieso es gut ist, Freud und Leid so gut es geht, miteinander zu teilen.

Rebecca Clare Sanger pendelt mit Mann und Kindern zwischen Hamburg und der dänischen Insel Møn; was sie dabei erlebt, steht 14-täglich an dieser Stelle.