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Das Erbe hochhalten, ohne es zu verwalten

Saudade Lura ist eine der raren Songwriterinnen der Kapverden. Sie trägt die Musik des Archipels in die Zukunft

Emigrantenpower aus Lissabon: Lura Foto: Lusafrica

Seit dem Tod der Insel-Ikone Cesaria Evora vor viereinhalb Jahren befindet sich die Musikszene der Kapverden im Übergang. Die Sängerin Lura führt dabei die Riege jener Künstler an, die das Erbe hochhalten, ohne es zu verwalten.

Aufgewachsen in einem Immigrantenviertel von Lissabon, entdeckte Lura die kreolische Sprache und Musik erst als Teenagerin. Mit 21 nahm sie ihr Debüt auf. Ausflüge in Soul und Reggae halfen ihr, einen zeitgemäßen Umgang mit den Roots zu finden. Die afrikanischen Rhythmen, die auf Cabo Verde lange ein Schattendasein führten, sind ihr ein besonderes ­Anliegen, und mit ihrer energiegeladene Bühnenpräsenz besitzt sie die Attitüde eines R&B-Stars.

Dabei leugnet die heute 40-Jährige die Verdienste ihrer Vorgänger nicht: in ihrem Repertoire finden sich Melodien und Texte großer Poeten wie Mario Lúcio, Geschichten vom Inselalltag und politische Themen wie Emigration. Zugleich ist Lura eine der wenigen weiblichen Songwriter der Kapverden. Inspirationen für ihre Songs, oft mit augenzwinkernden Anekdoten bereichert, holt sie sich auf dem Archipel selbst. Dort ist sie spätestens ein Star, seit ihr drittes Album „Di Korpu Ku Alma“ 2005 auf Platz eins stieg.

Die Palette der Musikstile der Kapverden ist so vielfältig wie die Vegetation des Archipels – von den traditionellen Mornas und Coladeiras, die Evora berühmt machte, über afrikanische Rhythmen wie Batuque, Ferrinho oder Funaná bis zu modernem Soul, Jazz und HipHop. Schon auf ihren letzten Werken koppelte Lura die kapverdischen Roots mit einer weltoffenen Sprache und lud Gastmusiker aus Madagaskar, Angola oder Brasilien ein.

„Herança“ (Erbe), ihre aktuelle Veröffentlichung, setzt diesen Weg fort: Schmissige, vom Akkordeon vorwärts getriebene Tänze wie „Sabi Di Más“ aus ihrer eigenen Feder paaren sich mit dem melancholischen „Di Undi Kim Bem“ von Mario Lúcio, das unverblümt Flamencoflair verströmt. Eine Huldigung an die Insel Santiago wechselt mit einem Ausflug zu Senegals ehemaliger Festung Goré, von der aus einst Sklaven über den Atlantik verschleppt wurden.

Einen Gastauftritt hat der Jazzbassist und Sänger Richard Bona in einem elegant dahinfließenden Song mit Bossa Nova-Einschlag. Am Titelstück überrascht die dunkel dräuende Spiritualität, mit der die transatlantische Gemeinschaft von Cabo Verde und Brasilien beschworen wird – eine der letzten Einspielungen, auf denen der im März verstorbene Percussionist Naná Vasconcelos mit seinen lautmalerischen Stimmen- und Schlagwerkkünsten zu hören ist. Stefan Franzen

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