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Eine Punk-Schamanin im Anflug

Elektro Folk Für die japanisch-französische Sängerin Maia Barouh war Fukushima ein Wendepunkt: die Atom-Katastrophe löste bei ihr eine künstlerische Kettenreakton aus

Zwischen Fernostfaszination und Verstörung: Weltenbummlerin Maia Barouh Foto: A. Larose/Kramer Artists

von Stefan Franzen

Der nukleare Katastrophe von Fukushima hat großes Leid über die Menschen gebracht, insbesondere in Japan. Bei Maia Barouh hat sie aber auch eine künstlerische Kettenreaktion ausgelöst. Für die japanisch-französische Sängerin war der 11. März 2011 ein Anlass, ihre Kunst völlig neu auszurichten. „Die Fukushima-Katastrophe hat eine Menge meiner Texte beeinflusst“, bekennt sie. „Ich war unter Schock, wie gelähmt. Und ich merkte, ich muss gegen diese Lähmung mit den Waffen einer Musikerin angehen.“

In uralten japanischen Gesängen fand sie neue Inspiration. Auf ihrem bahnbrechenden Werk „Kodama“ koppelt sie alte japanische Gesangstechniken und Flötenspiel mit einem Wall of Sound aus elektronischen Klängen. Dabei spannt die 31-Jährige einen weiten Bogen zwischen Fernost und Frankreich, zwischen exotischer Faszination und Verstörung.

Maia Barouh wuchs in Frankreich auf, als Tochter der japanischen Malerin Atsuko Ushioda und des französischen Musikers Pierre Barouh. Ihr Vater komponierte unter anderem Soundtracks und gründete vor einem halben Jahrhundert das World- und Chansonlabel Saravah. „Seine offene Art und seine Neugier haben mich beeinflusst. Er hat mich gelehrt, keine Grenzen zu sehen“, sagt seine Tochter. Die Kultur Japans lernt sie in der japanischen Schule in Paris kennen, und während des Ferienaufenthalts bei den Großeltern.

Flötenstunden bilden die Ausgangsbasis für eine eigene künstlerische Vision: „Trotz des klassischen Unterrichts ist der Sound auf meinem Instrument ethnisch geprägt. Heute singe ich simultan zur Flöte und spiele gerne Freestyle!“ Brasiliens Musik spielt für sie eine bedeutende Rolle, aber auch das Tokioter Straßen- und Nachtleben: Um bei einer der traditionellen Chindon’ya (Marching Bands) mitzumachen, greift sie vorübergehend zum Saxofon. Ein Studienaufenthalt auf der südjapanischen Insel Amami hinterlässt einen bleibenden Eindruck. Sie hört dort den alten Vokalstil der Eilandbewohner, Shima-uta genannt. „Das liegt schon sehr nahe beim Okinawaarchipel. Trotzdem haben die Sänger dort ganz andere Skalen und Gesangstechniken“, erklärt Barouh den Unterschied zu den Nachbarinseln.

Der kehlige Gesangsstil der südjapanischen Insel Amami hat es ihr angetan. Sie koppelt ihn mit Flötenspiel und einem elektronischen Wall of Sound

Faszinierend findet Maya Barouh vor allem das kehlige Klacken der Stimmen von Amami, das sie mit dem Jodeln oder dem Tahrir der persischen Sänger vergleicht. Es entstehen erste Aufnahmen, und parallel dazu gründet Maia Barouh in Frankreich eine Tourneeplattform, auf der sie experimentelle Musiker aus Japan präsentiert. Doch die Heimsuchung ihrer zweiten Heimat durch Erdbeben, Tsunami und Kernschmelze schreckt sie auf. Sie forscht nun auch in der gebeutelten Region des Nordens nach Liedern, auf die in den Städten niemand einen Pfifferling gibt. „Der Reichtum dieser Traditionen ist ziemlich unbekannt. Es gibt eine riesige Mauer zwischen dem kommerziellen Japan­pop und dieser traditionellen Musik“, bedauert sie.

Diese Mauer hat sie durch ihr 2015 veröffentlichtes Album „Kodama“ (Echos) durchbrochen. Barouh stimmt darauf ihre Version des Kehlgesangs von Amami ab, greift Lieder von Fischern und Dorfleuten aus dem Norden auf, lässt eine blutige historische Schlacht Revue passieren („Jongala“) und macht sogar einen Ausflug zu den indigenen Ainu auf der Nordinsel Hokkaido („Kane Ren Ren“). Ihre Interpretationen sind wild und fantastisch, getragen von einer kraftvollen Stimme, was in den Live-Shows zu betörenden Effekten führt. „Es ist eine Mischung aus meiner Punkseite und meinen animalischen Elementen. Ich stelle mir vor, wie die Rituale, über die ich singe, damals ausgeführt worden sein könnten.“

Zur energiegeladenen Umsetzung trägt neben den peitschenden Drums ein Ensemble von Keyboards und Synthesizern bei. „Dass sich die Elektronik so in den Vordergrund spielt, war gar nicht geplant: das entstand aus dem Moment heraus mit Martin Meissonnier.“ Der Starproduzent arbeitete schon mit Größen wie Papa Wemba, Manu Dibango oder Khaled zusammen. Er und die junge Franko-Japanerin ergänzen sich gut, etwa im Stück „Isotopes“ – eine wütende und dunkle Hymne auf die Fukushima-Katastrophe und zum 30. Jahrestag von Tschernobyl, zählt sie die Halbwertszeiten radioaktiver Stoffe auf. Maia Barouh ist überzeugt: „Die elektronische Musik hat heute ein so kreatives Potenzial wie früher der Jazz.“

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