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Im religiösen Gemischtwarenladen

DESIGNERRELIGION: Die Cao Dai verehren Jesus, Buddha, Charles Newton und die Jungfrau von Orleans. Für den Frieden auf Erden wollen sie alle Religionen in einer vereinen

FOTOS HOLGER PETERS TEXT EDITH KRESTA

Mein Wunsch ist, dass sich Deutschland trotz Krise gut weiterentwickelt, auch im Interesse von Vietnam. Und bitte: Behandeln sie unsere Landsleute in Deutschland gut“, gibt Chuong Nguyen Thanh mit auf den Weg. Der 1925 geborene alte Herr ist eine Art Vizepräsident der Cao Dai. Um 12 Uhr mittags findet in der vietnamesischen Provinzstadt Tay Ninh, etwa zwei Stunden von Saigon entfernt, der Gottesdienst der Cao Dai statt. Mit rund zwei Millionen Gläubigen ist der Caodaiismus die drittgrößte Religion Vietnams. Sein Zentrum ist ein 100 Quadratkilometer großes Gelände mit Verwaltung, Schule und eigenem Krankenhaus. Ein Staat im Staat.

Im Schneidersitz sitzen links die Männer, rechts die Frauen auf dem Boden, grafisch angeordnet wie auf dem Schachbrett. Alle sind in lange, weiße Gewänder gehüllt. Sie sprechen den meditativen Singsang. Viermal täglich findet diese Zeremonie statt. Über dem achteckigen Altar mit sechs Stühlen für die Kardinäle und einem Stuhl für den Papst wacht das symbolische Auge der Cao Dai, das alles sieht.

Barmherzigkeit, Liebe und Gerechtigkeit: Ein Wandgemälde am Eingang zum Heiligen Stuhl zeigt, wie der französische Schriftsteller Victor Hugo und der vietnamesische Dichter Trang Trinh diese Worte auf eine Tafel schreiben. Die Programmatik der Cao Dai. Das Tintenfass hält ihnen der Gründer der chinesischen Republik, Sun Yat Sen. Alle drei gehören zu den „hohen Geistern“ der Cao Dai.

„Die Lehre des Moses ist die Knospe, die Lehre Christi die Blüte, der Caodaiismus ist die Frucht“, steht an der Tafel am Eingang zum Heiligen Stuhl. Aber auch die asiatischen Religionen sind im Ideengebäude der Cao Dai vertreten: Laotse, Konfuzius und Buddha. Religionsstifter ist Ngo Van Chieu. 1925, zur Zeit der französischen Kolonialherren, soll der Verwaltungsbeamte die Offenbarung der Cao Dai erfahren haben. Er war ihr erster und einziger Papst.

Im Verwaltungsgebäude der Anlage sitzt Professor Thai Chong Than. „Es gibt nur einen Gott in dieser Welt“, beschreibt er die Grundlagen seiner Religion. „Aber da es in früheren Zeiten keine Beziehung der Länder untereinander gab, heißt Gott heute überall auf der Welt anders.“ Vegetarismus, Alkoholverzicht, Selbstlosigkeit, Nächstenliebe und Armut sind die Werte des Caodaiismus. Ahnenkult und Geisterbeschwörung gehören zum Ritual. Unter den „hohen Geistern“ des Caodaismus befinden sich auch die Jungfrau von Orleans und Isaac Newton.

Professor Thai erklärt: „Wir vereinen Katholizismus, Buddhismus und Konfuzianismus. Wir glauben, wenn es zu viele Religionen in der Welt gibt, schafft das nur Unruhe, Streit. Deshalb wollen wir alle Religionen in einer Religion zusammenbringen.“

Der Caodaiismus ist ein erfolgreicher Vorläufer postmoderner naiver Designerreligionen, ein kruder religiöser Gemischtwarenladen, hierarchisch strukturiert nach dem Vorbild des Katholizismus. Allerdings: Alle Ämter können auch von Frauen besetzt werden.

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