Allet schick!

Volksfest Sehen und Gesehenwerden beim Umzug des Karnevals der Kulturen. Von der Gästetribüne hat man alles gut im Blick

Die richtige Bekleidung spielt beim Karneval eine nicht zu unterschätzende Rolle Fotos: Karsten Thielker

von Alke Wierth

Hatschi. Wie gemein: Auch bei einer beim Karneval der Kulturen erworbenen Erkältung erzeugen Nieser weder Konfetti noch Seifenblasen. Dabei wurden die ZuschauerInnen des Umzugs beim Karneval der Kulturen am Sonntag damit überschüttet, auch Kamelle gab’s.

Auf dem Straßenfest des Karnevals der Kulturen soll es am Samstagabend zu sexuellen Belästigungen gekommen sein. Laut Polizei wurden zwei 17- und 18-jährige Frauen vor einer Bühne von einer zehnköpfigen Männergruppe umringt, angetanzt, bedrängt und angefasst. Dabei soll einer der Männer das Handy aus der Jackentasche einer der Frauen entwendet haben. Alarmierte Polizisten nahmen drei junge Männer der Gruppe vorläufig fest. Nach Personalienfeststellung wurden ein 14-Jähriger und zwei 17-Jährige wieder entlassen. Das gestohlene Handy bekam die Besitzerin zurück. Es wird geprüft, ob es weitere Übergriffe gab. (epd)

Wer das Spektakel von der Tribüne für geladene Gäste der KarnevalsveranstalterInnen betrachtet, erlebt eine besondere Show. Obwohl es in diesem wie bereits im vergangenen Jahr keine Jury und damit keine Auszeichnungen für Choreografie, Kostüme oder Wagenschmuck gab, zeigen fast alle Teilnehmergruppen vor der Bühne eine Performance, die nicht immer perfekt ist, aber meist witzig, charmant und liebevoll gemacht. Etwa, wenn bei der Teilnehmergruppe des Städtepartnerschaftsverein Kreuzberg-San Rafael del Sur ein aus Pappe gebastelter Bus aus Nicaragua mit einem ebenfalls pappenen Berliner U-Bahn-Wagen tanzt – beide betrieben von der Fußkraft ihrer MitfahrerInnen.

Berlin-Elektrostyle-Folklore

Ein Warnhinweis der Gruppe Tarantella: „Abschottung ist nicht gut im Bett“

Wie junge BerlinerInnen von der Sri Lanka Association erst sehr traditionell, dann im Berlin-Elektrostyle volkstanzen, entschädigt die ZuschauerIn für folkloristische Auftritte anderer Art. Wie den der Chinesinnen, die mit eingefrorenem Lächeln, sichernd umkreist von chinesischen Herren in Grau, eine weniger mitreißende Seite ihrer Herkunftskultur darstellen.

Doch trotz solcher (glücklicherweise seltenen) Beispiele für schlechte staatliche PR ist man fast froh, keine Preise vergeben zu müssen. Zu groß ist die Zahl liebenswerter Aufführungen. Dauerbrenner: die Polit-KarnevalistInnen der Gruppen Calaca und Tarantella. Letztere nehmen sich in diesem Jahr der Gefahren von Abschottung an: in der Verkleidung von Warnungen auf Zigarettenschachteln. „Vorsicht: Abschottung ist nicht gut im Bett“, heißt es da. Erstmals dabei: die Grupo Chile mit einer ganz speziellen Art von Multikulti. Die Musik lateinamerikanisch, die Kleider wie Dirndl, die Tanzformationen wie vom Balkan, dazu wird orientalisch mit roten Tüchern über Schultern gewedelt.

Sieger der Herzen

Sieger der Herzen waren die kleinen Jungs, die der nigerianischen Gruppe Nzuko Umuigbo vorantanzen: ganz ohne traditionelle Kostüme, aber hoch konzentriert mit atemberaubendem Können. Auf der Tribüne wippt der privilegiert bestuhlte Gast dazu vornehm mit dem Fuß, Schulter an Schulter mit VerantwortungsträgerInnen: Die SenatorInnen Dilek Kolat (Integration), Andreas Geisel (Stadtentwicklung) und Matthias Kollatz-Ahnen (Finanzen, alle SPD) waren da. Der Regierende Bürgermeister Michael Müller, auch SPD, stand gar vorne an der Balustrade – ein gutes Zeichen für den Karneval, bei dem es also nicht mehr nur um Sehen, sondern auch um Gesehenwerden geht. Dass man bei den unpfingstlich kalten Temperaturen beinahe steif gefroren ist, merkt man dann erst auf dem Heimweg.

Laut Veranstalter haben in diesem Jahr 650.000 Menschen den Umzug gesehen.