Sie wollen von uns nichts geschenkt bekommen

Gedenken In der NGBK sprach Gunter Demnig am Mittwoch über das partizipative Kunstprojekt der Stolpersteine

Sie sind klein und quadratisch, und wenn die Sonne scheint, fällt ihre glänzende metallene Oberfläche auf den Gehwegen hin und wieder ins Auge – die Stolpersteine. Seit 20 Jahren kreuzen sie unsere alltäglichen Wege und erinnern uns an die Opfer der Gräueltaten, die während der NS-Zeit passiert sind.

Genau das ist auch die Absicht ihres Erfinders Gunter Demnig. Hinter der Idee, die kleinen Steine im Boden zu vergraben, stand der Wunsch, eine Art „dezentraler Erinnerungskultur“ zu erzeugen, eine Intervention also, die sowohl räumlich als auch zeitlich nahezu unbeschränkt zu aktiver Erinnerungsarbeit aufruft und gleichzeitig zur Partizipation „von unten“ einlädt.

Die Frage nach der Umsetzung dieser Absicht war der Angelpunkt, um den sich das Gespräch zwischen Gunter Demnig und Leonie Baumann, Rektorin der Weißensee Kunsthochschule Berlin, anlässlich des Jubiläums der Steine am Mittwoch in der Neuen Gesellschaft für Bildende Kunst in Kreuzberg drehte.

Beim Vergraben finden sich Familien wieder

Demnig hat mittlerweile europaweit über 58.000 Stolpersteine verlegt, in Berlin sind es um die 6.000. Die meisten von ihnen verlegte er selbst, bekam bei seiner Arbeit aber immer wieder tatkräftige Unterstützung: „Oft kommen ganze Familien, um beim Vergraben der Steine mitzuhelfen“, erzählt Demnig. Er freut sich über das Partizipative an dieser Form der künstlerischen Intervention: „Ich habe schon Gruppen erlebt, die sich beim Vergraben der Steine gegenüberstanden und erst dann feststellten, dass sie miteinander verwandt sind.“ Inzwischen sind die Stolpersteine auch über Europa hinaus bekannt: „Als ich in Stockholm Steine vergrub, reiste sogar jemand aus Honolulu an, der einen Stein für seine Verwandten vergraben wollte“, erzählt der Künstler.

Allerdings berichtet er auch von zahlreichen Beispielen, in denen sich bürokratische Kämpfe um die rechtmäßige Verlegung der Steinchen über Jahre hinzogen, und er erzählt von den vielen Umwegen, die er gehen musste, um sein Projekt finanzieren zu können – unter anderem konnte er dies über die Schaffung privater Patenschaften für die Steine bewerkstelligen.

Ebendieser Umstand, dass Angehörige die Steine für ihre Verwandten selbst vergraben und sie vor allem auch bezahlen, war es, der an diesem Abend in den Räumen der NGBK Diskussionen provozierte. Es liege doch schließlich in der Verantwortung der deutschen Nachgeborenen, für eine Aufrechterhaltung der Erinnerung an die Opfer des NS-Regimes zu sorgen, hieß es auf Seiten vieler TeilnehmerInnen.

Dem hielt Demnig entgegen: „So sehe ich das auch, aber die Angehörigen wollten unbedingt bezahlen, sie waren gar nicht von ihrem Wunsch abzubringen.“ „Sie wollen von uns eben nichts geschenkt bekommen“, vermutete eine Teilnehmerin.

Schlussendlich herrschte jedoch in einem Punkt Einigkeit: „Es kann doch nicht angehen, dass die Steine sich nur über private Umwege finanzieren lassen und sich seit 20 Jahren keine Möglichkeit der staatlichen Unterstützung finden lässt. Das ist politisch ganz miserabel, was dort abläuft.“

In Anbetracht brennender Flüchtlingsheime und des Erstarkens fremdenfeindlichen Gedankenguts erscheinen solche Projekte, die gegen das Vergessen arbeiten, wichtiger denn je. Annika Glunz