„Ein naiver Ausrutscher oder bewusstes Fischen am rechten Rand? Es spricht einiges für die zweite Variante“

Das bleibt von der Woche Auf Berlins Straßen geht es immer aggressiver zu, ein langjähriger Bewohner des linken Hausprojekts Linienstraße 206 wird zwangsgeräumt, ein zahmer Fuchs aus dem Prinzenbad geht in die ewigen Jagdgründe ein, und Katrin Vogel, die Chefin des CDU-Kreisverbands Treptow-Köpenick, arbeitet mit rechtem Gedankengut

Bewegte, vereinigt euch!

Aggressionen im Verkehr

Für alle Autos und Räder und auch die Fußgänger müssen Lösungen her

Dass ein Vollidiot seine blanke Wut an einem anderen Menschen auslässt, wie es am Montag dem Neuköllner Piraten Steffen Burger passiert ist, ist unfassbar und nicht zu entschuldigen. Da der eine Auto- und der andere Fahrradfahrer war, ist es verständlich, dass im ersten Moment „Höhere Bußgelder für AutofahrerInnen!“ und „Mehr Polizei!“ gerufen wird. Und ebenso, dass die Falschparker-App Wegeheld erneut ins Gespräch kommt.

Alles verständlich, ja – aber nicht zielführend. Denn die Aggressivität im Straßenverkehr wird sicher nicht abnehmen, wenn AutofahrerInnen mit der Falschparker-App beim Ordnungsamt angezeigt werden. Im Gegenteil. BerlinerInnen können ihre Fahrzeuge oft erst nach langer Suche legal parken. Dabei kommt es auch zu Streitereien unter den Suchenden.

Die aufkommenden Aggressionen sind nämlich nicht für die FahrradfahrerInnen reserviert. Wer entnervt aufgibt und beispielsweise hinter den Neukölln Arcaden das Gefährt abstellt, entgeht nur selten einem Knöllchen. Denn dort parken in schöner Regelmäßigkeit Autos vom Ordnungsamt im absoluten Halteverbot, weil sie – wie die Einkaufenden – keinen Parkplatz gefunden haben.

Doch nicht jeder Verstoß gegen die Parkvorschriften ist dem bösartigen Wesen der Autofahrenden geschuldet. Es gibt Alte, Gehbehinderte und Großfamilien, die ebenso probieren, sich in der Großstadt zu organisieren wie PaketzustellerInnen, HandwerkerInnen, LieferantInnen und Menschen vom mobilen Pflegedienst, um nur einige zu nennen. Nicht allen will man das Fahren verbieten, und ihnen sind ausreichend Parkmöglichkeiten zu wünschen.

Es gilt, für alle VerkehrsteilnehmerInnen Lösungen zu finden. Egal ob die/der BerlinerIn heute zu Fuß, mit dem Bus, Fahrrad, Moped, Pkw oder Lkw unterwegs ist: Es haben alle ein Interesse daran, dass die Straßen, Rad- und Fußwege derart gestaltet sind, dass man sicher unterwegs sein und mit einem ausgeglichenen Puls den Zielort erreichen kann. Deswegen ist es ebenso im Interesse der AutofahrerInnen, dass es überall in Berlin ausgebaute Rad- und Fußwege gibt, wie es im Interesse der RadfahrerInnen und FußgängerInnen ist, dass ausreichend Parkplätze für Autos vorhanden sind.

Und diese Forderungen lassen sich am besten gemeinsam durchsetzen. Marisa Janson

Bloß nicht noch eine Galerie

Linienstraße 206 geräumt

Die verbliebenen Bewohner haben den Schock noch nicht verarbeitet

Völlig überrascht waren die Bewohner des linken Hausprojekts Linienstraße 206, als am Dienstagmorgen die Polizei bei ihnen auf der Matte stand. Die Beamten hatten die Eingangstür aufgebrochen, sich zunächst in der Etage geirrt und im falschen Zimmer gestanden. „Ach, Sie können weiterschlafen“, sagte ein Polizist, als er den Irrtum bemerkte. Kurz darauf fanden sie das gesuchte Zimmer und räumten einen langjährigen Bewohner aus seinem Zuhause. Noch Dienstagabend fand eine Spontandemonstration mit 500 Teilnehmern statt.

Zwei Tage nach den Ereignissen sitzen fünf der verbliebenen Bewohner auf Bierbänken vor dem sanierungsbedürftigen, mit Parolen und Bannern geschmückten Haus in schicker Mitte-Umgebung. Sie haben den Schock noch nicht verarbeitet, sind übermüdet. Weder sie noch ihr Anwalt hatten im Vorfeld einen Hinweis auf die bevorstehende Räumung des Privat- und eines Gemeinschaftsraumes erhalten.

Nun erklären sie den Hintergrund des ersten Polizeieinsatzes in der 26-jährigen Geschichte des Projektes. Willi, ein schlanker Mann mit orangefarbenem Haar, sagt, die Mietverträge für die betroffenen Räume hätten bis vor drei Jahren bei zwei ehemaligen Bewohnern gelegen. „Die haben sich vom Eigentümer de facto herauskaufen lassen, um sich aus der Verantwortung zu ziehen.“ Erklärend fügt Willi hinzu: „Deren Lebenskonzepte haben sich geändert.“ Einer sei jetzt Unternehmer und habe ein Haus am Stadtrand.

Nun wollen die etwa 15 Bewohner klagen, denn die Hausbesitzer – zwei Berliner Unternehmer – haben all die Jahre die Mietzahlungen entgegengenommen, auch für den laufenden Monat. „Wir sind der Meinung, dass es dadurch Nachfolgemietverträge gibt“, so Willi.

Die Eigentümer hatten dagegen anscheinend schon am Dienstag versucht, Nachmieter in die Zimmer zu setzen. Zwei Stunden nach der Räumung seien „zwei Leute, die das Mitte-Apartment besichtigen wollten“, vor dem Haus aufgetaucht, sagt Willi. Bei dem Apartment handelt es sich allerdings um eine große WG, ohne abgeschlossene Wohnungen, mit Gemeinschaftsküche und Außenklos im Treppenhaus.

Vorerst habe Hausbesitzer Bernd-Ullrich Lippert angekündigt, auf weitere Wohnungsbesichtigungen zu verzichten, „er ist aber der Meinung, dass wir uns mit der Zeit schon beruhigen und damit abfinden werden“, so Willi. Für die Bewohner ist das keine Option. Sie wollen weiter selbstbestimmt leben, sich der Entwicklung des Viertels widersetzen. „Linie, Linie, Anarchie / Nicht noch eine Galerie“, skandierten sie auf der Demo am Dienstag. Erik Peter

Ist das
schon
Mord?

Tod im Prinzenbad

Fuchsi galt als so harmlos wie sein Kosename. Er ließ sich sogar streicheln

Fuchsi ist nicht mehr. Am ersten Tag der Saison wurde das Quasi-Maskottchen des Prinzenbads, ein halbzahmer Fuchs, bei laufendem Badebetrieb von einem Stadtjäger erlegt. Beziehungsweise erlöst. Je nachdem, wen man so fragt.

Die Datenlage ist unübersichtlich – von Mord am Beckenrand, weinenden Badegästen und traumatisierten Kindern wurde in einschlägigen Medien berichtet. Polizeilich versichert sind folgende Erkenntnisse: Letzten Samstag haben gegen 13 Uhr Mitarbeiter des Bades die Polizei informiert, dass sich ein verletzter Fuchs in der Nähe des Badebeckens aufhalte. Mehrere Beamte trafen nahezu zeitgleich mit dem ebenfalls herbeigerufenen Stadtjäger ein. Dieser habe festgestellt, dass sich das Tier in einer erheblichen Notlage befand, es in Amtshilfe per Gnadenschuss erlegt und anschließend entsorgt. 14.50 Uhr war alles vorbei. Die taz würdigte das Geschehene am Sonntag in ihrem Prinzenbadblog – seitdem wird heiß debattiert.

Weil in der Stadt Tollwut und Fuchsbandwurm kaum mehr zu fürchten sind und der Rotfuchs im Allgemeinen keine Menschen angreift, galt Fuchsi als so harmlos wie sein Kosename. Sogar streicheln hat er sich lassen. Allein dies trennt, in Verbindung mit den Umständen von Fuchsis vorzeitigem Tod, die Anteilnehmenden nun in zwei Lager: zum einen die, die „Mord“ rufen. Die sagen, jedes verletzte Vögelein werde gerettet. Warum dann nicht der lieb gewonnene Fuchsi? Die an den Tierschutzmotiven des ehrenamtlichen Stadtjägers derbe Zweifel hegen und hinter dem Schuss das freudige Halali eines passionierten Waffenträgers wittern.

Auf der anderen Seite stehen die, die der Verniedlichung von Wildtieren den Garaus machen wollen. Die in einem Fuchs noch das sehen, was er vor der Einbindung in die Nahrungskette der städtischen Wegwerfgesellschaft war: ein Fluchttier, das man nicht an Menschen gewöhnt und streichelt. Und das man bei Verletzung nicht in ein Körbchen packt und auf dem Beifahrersitz in die nächste Tierrettungsstelle fährt. Sondern eben fachmännisch, darwinistisch erlöst.

Es wird an dieser Stelle nicht abschließend zu klären sein, ob Fuchsi dieses elende Ende zuteilwerden musste. Und ob es überhaupt so elend war für einen Fuchs. Die Emotionalität, mit der, im Netz und anderswo, über Leben und Sterben des Prinzenbadbesuchers debattiert wird, macht die Geschichte des Fuchses jedenfalls – wie passend – zur Parabel über die Definition von Tierliebe. Manuela Heim

Die CDU
muss sich entscheiden

Abgeordnete demonstriert

Auf Facebook inszeniert sich Vogel als Kämpferin für die Rechte der Anwohner

Sie spielt mit rassistischen Ressentiments, wenn sie behauptet, mit einer Flüchtlingsunterkunft entstehe auch ein neuer „Problemkiez“. Sie arbeitet mit falschen Zahlen, wenn sie angibt, der Ortsteil Altglienicke nehme überproportional viele der im Bezirk Treptow-Köpenick untergebrachten Flüchtlinge auf. Sie empört sich über mangelnde Informationsarbeit der Berliner Landespolitik. Sie spricht auf einer Demonstration, die sich gegen den Bau einer geplanten Containerunterkunft ausspricht und an der auch NPD-Funktionäre teilnehmen.

Die Rede ist nicht von einer NPD- oder AfD-Politikerin, sondern von Katrin Vogel, Abgeordnete der CDU und Chefin des CDU-Kreisverbands Treptow-Köpenick. Am Montag hat die Landesparlamentarierin auf einer Demonstration gegen eine geplante Flüchtlingsunterkunft in Altglienicke gesprochen, die sie zuvor schon auf ihrem Facebook-Profil beworben hatte. Hinterher verteidigt sie ihre Teilnahme: Es gehe ihr nur um eine gerechtere Verteilung der Flüchtlinge, außerdem habe sie nicht gewusst, dass sich unter den DemonstrantInnen auch Rechtsextreme befanden.

Ein naiver Ausrutscher oder bewusstes Fischen am rechten Rand? Es spricht einiges für die zweite Variante. Denn hinter der Demonstration stecken nach bisherigen Erkenntnissen zwar keine organisierten Rechtsextreme. Konzeptionell stellt sich die Veranstaltung aber in so große Nähe zu früheren flüchtlingsfeindlichen Veranstaltungen in Berlin – man nennt sich „Montagsdemo“, verwendet den Begriff Asylanten, appelliert an den Lokalpatriotismus der AnwohnerInnen –, dass man Absicht dahinter vermuten muss.

Vogel gibt in einem Interview am Mittwoch außerdem freimütig zu, sie wisse, dass dort in der Anwohnerschaft viele Rechte wohnen, und dass man deren Demonstrationsteilnahme nun mal nicht ausschließen könnte. Dass das für eine CDU-Politikerin ein Grund sein könnte, nicht auf dieser Veranstaltung zu sprechen, leuchtet ihr offenbar nicht ein. Im Gegenteil: Auf Facebook inszeniert sie sich als Kämpferin für die Rechte der AnwohnerInnen und Opfer einer „Medienkampagne“.

Zusammengenommen machen diese Faktoren das Verhalten Vogels untragbar. Die CDU muss sich jetzt entscheiden, ob sie sich weiter hinter diese Abgeordnete stellt, die – nebenbei bemerkt – ihre eigene Partei in ein nicht gerade vorteilhaftes Licht rückt, wenn sie behauptet, diese habe trotz Regierungsbeteiligung bei der Standortwahl nicht mitzureden. Malene Gürgen