mitschriften aus der letzten reihe (eins): Sicher auftreten, überzeugend reden
Durch das Foyer der Urania weht eine Mischung aus Parfüm- und Putzmittelgeruch. Eintausendundzwei Garderobenhaken sind nur spärlich behängt. Vierzig Besucher wollen an einem späten Oktobernachmittag einen Vortrag über die Kunst des Vortragens hören: „Sicher auftreten, überzeugend reden“. Ein paar Rentner geben ihre farblosen Mäntel ab, zwei Jugendliche boxen sich aus Langeweile in die Rippen. Ganz hinten in den braunen Sesselfluchten des Vortragssaals sitzt schon ein altersloser Mann mit Bürstenhaar. Die Schultern hochgezogen, zupft er an den Trägern des Rucksacks auf seinen Knien. Welche Reden er wohl halten wird, wenn er nachher den Saal verlässt.
Die Urania ist eine Ikone der alten Westberliner Vortragsindustrie. Seit über 120 Jahren bildet sie die Allgemeinheit: Einführungen in die Quantenphysik, Ausführungen zur Kiezkunde, von Berlin nach Spitzbergen und zurück. Ewiges Topthema auch: der alternde Körper – „Gruß vom Fuß: Endlich wieder schmerzfrei“.
Heute aber – inmitten des stadtweit seit jeh ungebrochenen Vortragsbooms – etwas reflexiv Mahnendes. „Sicher auftreten, überzeugend reden“ hätte früher vielleicht „Die hohe Kunst der Rhetorik“ geheißen. Jetzt erwartet man eher eine Schulung in Powerpoint oder ein Motivationstraining für Manager. Aber die Diplom-Psychologin Dr. Edith Schütte ist nicht das, was man eine Technikexpertin nennen mag. Sie ist auch keine Managerin. Mit ihrem braunen Pagenschnitt und ihrem dunkelroten Kostüm hat sie den Charme einer Religionslehrerein für die Mittelstufe. Das gedimmte Neonlicht, das aus der braun vertäfelten Decke fällt, lässt ihr Gesicht merkwürdig trübe erscheinen.
„Ich habe kein Lampenfieber“, sagt Dr. Schütte. Zehn Sekunden Pause, dann: „Warum sollte ich von diesen Lampen dort oben Fieber bekommen?“ Stille. Ihr Auftaktwitz verpufft im Saal. Mit beeindruckendem Gleichmut – Zuhörer wollen erobert werden – präsentiert Edith Schütte daraufhin ihr Rezept für den erfolgreichen Vortrag. Drei Anweisungen hat sie parat. Die hat sie vorab schon auf drei Folien gemalt. Erstens: Ohne Selbstbewusstsein geht nichts. Zweitens: Körperliche Präsenz zeigen. Drittens: Keine langen und umständlichen Sätze machen.
Wer etwas über die Probleme bei der redegewandten Umsetzung von Ideen hören will, ist hier heute Nachmittag falsch. Auch wer die technischen Finessen von Powerpoint besser beherrschen will, um in der Eventgesellschaft als Präsentationskünstler bestehen zu können, hat hier nichts verloren. Events haben die Urania noch nicht erreicht. Hier werden nicht die harten Fakten hübsch verpackt. Hier geht es um die weichen Formen, mit denen sich die Lücken in den langen Nachmittagen füllen lassen.
Am Ende des Vortrags über den Vortrag zögert der Mann mit dem Bürstenhaarschnitt kurz, als müsse er überlegen, ob er doch noch etwas fragen solle. Aber irgendetwas fehlt. Der kurze Satz vielleicht, die körperliche Präsenz oder das Selbstbewusstsein. Frau Dr. Edith Schütte sammelt ohnehin schon ihre Folien vom Tageslichtprojektor. Der Mann lächelt schüchtern in ihre Richtung, setzt seinen Rucksack auf und geht. Vielleicht zum nächsten Vortrag. Halb acht im kleinen Saal. „China im Weltraum“.
WIEBKE POROMBKA
Eine Bildungskolumne – in Zeiten von Wissensgesellschaft und strategischer Selbstbewirtschaftung quasi ein Muss. Ab jetzt wird alle zwei Wochen in Vorträgen gesessen und um Verständnis gerungen. Bis zum Semesterende.
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