Heute würde man sagen: queer

Inszenierte, sinnliche Dokumentarfilme jenseits der Norm: Anlässlich des Erscheinens von Elfi Mikeschs poetischer Autobiografie „Der Traum der Dinge“ zeigt das Arsenal eine umfassende Retrospektive der Kamerafrau und Regisseurin

VON MADELEINE BERNSTORFF

„Ich denke oft an Hawaii“ von 1977/78 ist ein Suburbia-Film. Jedes Bild, jede Kameraeinstellung macht süchtig. Das Material ist farbig und schwarz-weiß. Wenn es farbig ist, dann leuchten dich das Rot des Kleides, das Gelb des Putzeimers, das Grün der Götterspeise und das lichte Blau des Gummibaumblattes an. Carmen, 16 Jahre alt, wohnt am Rande einer Hochhaussiedlung. Ihre Mutter arbeitet als Putzfrau. Carmens Vater war ein amerikanischer Soldat aus Puerto Rico, und Carmens Mutter ist mit ihm gegangen, weil sie aus der Knopffabrik wegwollte. Dann hat er sie sitzen gelassen mit den Kindern. Carmen beschreibt ihr Zimmer – sie wünscht sich ein größeres und später die Liebe und zwei Kinder und keine Einsamkeit. Expressiv geschminkt taucht sie in einen Chinoiserie-Traum ein oder hört die Platten des Vaters mit Hawaiimusik.

Radikaler könnte die Absage an die damals schon totgelaufenen Sozialdokumentationen mit wohlmeinendem Kommentar nicht sein. So etwas wie experimentelle Dokumentarfilme, die zu ihrer Inszenierung stehen, gab es selten in dieser Zeit. „Happy End ist, alles machen zu können, was ich mir wünsche“, sagt Carmen, die jahrelang Nachbarin der Filmemacherin Elfi Mikesch war. „Die haben im Hof gespielt“, sagte Mikesch mal in einem Interview, „vielmehr der Bruder hat gespielt und das Mädchen stand nur so herum und hat kaum gesprochen. Mich hat das fasziniert und ich wusste plötzlich: es wäre interessant für mich, einen Film zu machen über diese beiden. Warum spricht dieses Mädchen nicht, warum spricht der Junge? Warum tobt der herum, warum das Mädchen nicht?“

In „Macumba“ (1982) ist die früh verstorbene Magdalena Montezuma mit ihrem großen Gesicht der Star, Heinz Emigholz und Carola Regnier die begleitenden Gestirne. Anfang der Achtzigerjahre in Berlin leben diese drei dandyesk in einem Abbruchhaus auf der Kurfürstenstraße: „Wir hatten nie gewagt so zu leben, wir fingen an, mit ungeheurer Lust zu verwahrlosen. Der Ekel war für uns eine Art tägliche Suppe geworden und wir warteten nur auf jemanden, der eines Tages kommen würde, dem wir sie dann ins Gesicht spucken würden.“ Der Film trägt in einer Zeit, als in der BRD und Westberlin mehrere hundert Häuser besetzt waren, als sich die Punkboheme schon in ihren Kreativträumen zerfasert hatte, eine atemberaubende und – so würde man heute sagen – queere BRD-Melancholie mit sich herum, eine Normverweigerung und Liebessehnsucht.

Ihre Absage an eine Schablonenkultur formuliert Mikesch ebenfalls in ihren neueren Dokumentarfilmen. Immer wieder geht es ihr um Personen, die sich weit jenseits der Norm bewegen und die mit ihren Eigenheiten die Welt großzügiger machen könnten. Auch in den transgressiven Filmen Werner Schroeters ist dies zu finden, im „Rosenkönig“ (1986), für den Mikesch den Kamerapreis erhielt mit ihrer Arbeit nah an der Malerei und dem Chiaroscuro eines Georges de La Tour. Der Film erzählt die obsessive Liebe zweier Männer in kühnen Bildern: Wie so eine Liebe die Umgebung verstört, hier die Mutter, gespielt von Magdalena Montezuma in ihrer letzten Rolle. Sie erträgt das rollige Schreien der Katzen draußen nicht, und eine weiße Ratte läuft ihr vor die Füße.

Elfi Mikeschs Kamera setzt die Körper und Gesichter auf eine Weise in Szene, dass sie vor Sinnlichkeit strahlen. Ein solches Verhältnis zum weiblichen Körper hat es selten gegeben in der Filmgeschichte. In „Frühstück der Hyäne“ (1983) spielt Sheila Mc Laughlin eine junge Frau, die ihren Ehemann verlassen hat. Ihn hören wir nur über Heinz Emigholz’ wunderbar nölige Stimme aus einem baumelnden Telefonhörer.

„Wahrscheinlich ist die einzige Perversion der Frauen ihre Unterwerfung“ – das ist das Motto des Films. Und das spielt er aus, zeigt blaue Flecke, Selbstfesselungen und Peitschungen, die die Protagonistin für sich allein vornimmt, um dann zu lachen, als sie aus dem Bett kullert mit ihren Bondage-Beinen. Dann küsst sie eine Frau. Diese Retrospektive arbeitet fragmentarisch an einer kleinen Geschichte des queeren und feministischen Filmschaffens in der BRD, die so bisher noch nicht geschrieben worden ist.